Prof. Dr. Reinhard Greger

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Fachbereich Rechtswissenschaft

ehem. Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und freiwillige Gerichtsbarkeit

Richter am Bundesgerichtshof a.D.

 

         
  

Beiträge zur Justizreform -  Reform des Zivilprozesses

  
   
Protokoll der zweiten und dritten Beratung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses
vom 15. Mai 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich rufe den heute Morgen aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf:

Zweite und dritte Beratung der von der Bundesregierung und von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses - Drucksachen 14/4733, 14/3750, 14/6036 -

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor. Die Fraktion der CDU/CSU hat ihren Gesetzentwurf zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens, Drucksache 14/163, zurückgezogen.

Wie heute Morgen beschlossen, beträgt die Dauer der Aussprache eineinhalb Stunden.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hermann Bachmaier für die SPD-Fraktion.

Hermann Bachmaier (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Auf Dauer wird die bürgerliche Rechtspflege nicht in der Lage sein, ohne weitergehende Maßnahmen diesen Geschäftsanfall und - erst recht nicht - die vom Gesetzgeber übertragenen neuen Aufgaben zu bewältigen und dem rechtsuchenden Bürger in angemessener Zeit Rechtsschutz zu gewähren.

So heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der CDU/CSU-Fraktion vom Anfang dieser Legislaturperiode.

In diesem Antrag ist neben dem verstärkten Einsatz von Einzelrichtern eine "Einschränkung des Angebots der Rechtsmittel", wie es so schön heißt, sprich: eine recht rigorose Befugnis zur Zurückweisung von Berufungen bis zu einem Streitwert von sage und schreibe 60 000 DM vorgesehen.

Dieser Gesetzentwurf, über den wir, wie gesagt, heute mit zu beraten und auch mit zu entscheiden haben, liegt in der unseligen Tradition der vielen so genannten Rechtspflegeentlastungsgesetze, mit denen wir in den zurück liegenden Legislaturperioden immer dann befasst, manchmal fast traktiert wurden, wenn die Justiz mit ansteigenden Fallzahlen in Schwierigkeiten geriet.

Dann wurde an der Streitwertschraube mit der Folge gedreht, dass wir inzwischen fast eine Art Zweiklassenjustiz haben: Hohe Streitwerte genießen komfortabelsten Rechtsschutz bis hin zum Bundesgerichtshof; Verfahren mit niedrigeren Streitwerten müssen sich unabhängig davon, wie existenziell ihre Bedeutung für die Beteiligten ist, mit begrenzten Rechtsmittelmöglichkeiten begnügen. Die Folge ist auch, dass die Amtsgerichte, die den größten Teil aller Zivilrechtsverfahren zu schultern haben, zum Teil rettungslos überlastet sind. Richterinnen und Richter, die jährlich über 700 Fälle zu bearbeiten haben, können auch bei noch so gutem Willen dem Einzelfall nicht die Zuwendung zukommen lassen, die Rechtsuchende von der Justiz zu Recht erwarten können.

Die von der Regierung und den Koalitionsfraktionen heute zur Abstimmung gestellte Zivilprozessreform führt zu deutlichen Verbesserungen. Zivilrechtliche Auseinandersetzungen sollen künftig wieder so von den Gerichten bewältigt werden können, dass die Rechtssuchenden möglichst schon in erster Instanz mit einem ab schließenden Ergebnis rechnen können, und zwar in einem Verfahren, das ihren Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht. Verstärkte Aufklärungspflichten des Gerichtes sollen schon in einem frühen Stadium den Rechtssuchenden die Chancen und Risiken des Verfahrens offen legen. Dem Ziel, bereits in diesem Stadium zu einem fairen Ausgleich zu kommen, dient auch die Verpflichtung des Gerichts, vor der streitigen Verhandlung im Rahmen einer Güteverhandlung eine vergleichsweise Regelung anzustreben. Erhöhte Aufklärungspflichten schaffen nicht nur Transparenz und verhindern Fehleinschätzungen durch die Prozessparteien, sondern verstärken gleichzeitig die Bereitschaft, im Vergleichswege eine Lösung zu suchen. Wir brauchen diese Stärkung der ersten Instanz dringend; denn allein die Zahl der durchlaufenen Instanzen ist noch kein zwingender Beleg dafür, dass bessere Ergebnisse erzielt werden.

Eine gründliche Befassung und ein transparentes Verfahren in der ersten Instanz rechtfertigen es auch, aussichtslose Berufungen durch einstimmigen Beschluss der Berufungskammer bzw. des Berufungssenates zurückzuweisen. Anders als dies noch der CDU/CSU-Antrag vorsieht, sollen auch in diesem Falle die Prozessparteien nicht plötzlich mit einer solchen Entscheidung konfrontiert werden. Das Berufungsgericht hat vielmehr seine Absicht, die Berufung zurückzuweisen, unter Nennung der Gründe mitzuteilen und dem Berufungsführer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dadurch werden zur Verbitterung Anlass gebende überfallartige Entscheidungen vermieden und dem Gebot des rechtlichen Gehörs Rechnung getragen.

Durch die Reform des Berufungsverfahrens wird die Durchführung erkennbar aussichtsloser Berufungen vermieden und bereits nach Abschluss der ersten Instanz Rechtssicherheit hergestellt. Dem von manchen so hervorragend beherrschten Spiel, durch eine exzessive Ausnutzung des Instanzenzuges sich möglichst lange Zahlungs- und Leistungspflichten zu entziehen, wird mit diesen prozessualen Möglichkeiten Einhalt geboten. Rechtlich und tatsächlich zweifelhafte Entscheidungen der ersten Instanz können aber nach wie vor, wie die einschlägigen Vorschriften zeigen, in der Berufungsinstanz gründlich überprüft werden.

Gerade auch die einschlägigen Vorschriften zur Berufung zeigen, dass der Reform die intensive Beratung im Parlament und in der Fachöffentlichkeit sowie im Kreis ausgewiesener Experten gut getan hat. Ich glaube, wir können mit Fug und Recht behaupten, dass kaum ein rechtspolitisches Reformvorhaben eine so umfassende Beratung im Parlament und in der Öffentlichkeit erfahren hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu hat die sicherlich streitbare, aber immer offene Dialogbereitschaft des Justizministeriums entscheidend beigetragen.

Auch bei der immer heftig umstrittenen Frage der Abgrenzung von Kammer- und Senatszuständigkeit gegenüber einem verstärkten Einsatz von Einzelrichtern wurde letztlich ein, wie ich meine, recht vernünftiges und ausgewogenes Ergebnis erzielt. Schließlich wissen wir aus der täglichen Praxis, dass auch bei komplizierten und bedeutenden Verfahren die Akzeptanz einzelrichterlicher Entscheidungen letztlich nicht hinter Kammer- und Senatsentscheidungen zurücksteht. Aus vielerlei Gründen, wie zum Beispiel der Heranführung junger Richterinnen und Richter an die gerichtliche Praxis und für höchst diffizile und umfangreiche Prozessmaterien in erster und vor allem in zweiter Instanz, benötigen wir jedoch auch in Zukunft Kammern und Senate.

Gerade auch die Neuregelung des Revisionsrechtes zeigt, dass wir bei der Zivilprozessrechtsreform Ernst machen mit unserem Anliegen, Rechtsmittel nicht nach der jeweiligen Höhe des Streitwertes zur Verfügung zu stellen oder zu verweigern. In Zukunft ist die Revision gegen alle Berufungsurteile unabhängig vom Streitwert dann möglich, wenn sie durch das Berufungsgericht zugelassen oder über eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof erstritten wird, wenn auch erst nach einer Übergangsregelung von fünf Jahren. Die in einem sozialen Rechtsstaat höchst ungerechte und willkürliche Streitwertgrenze von 60000 DM wird endlich abgeschafft.

Insgesamt konnten die meisten der angestrebten Reformziele erreicht werden. In Zukunft wird es bei der Lösung zivilrechtlicher Konflikte wieder stärker darauf ankommen, welche prozessualen Instrumente jeweils geboten sind, um einen Rechtsstreit einer vernünftigen Lösung zuzuführen, und weniger darauf, welcher Streitwert dem Verfahren zugrunde liegt. Zwar wurde im Zuge der parlamentarischen Beratung, wobei die Bundesländer frühzeitig einbezogen wurden, letztlich eine Konzentration aller Berufungsverfahren bei den Oberlandesgerichten noch nicht realisiert. Dies ändert aber nichts daran, dass mit diesem Gesetz eine innere Reform des Zivilprozesses in die Wege geleitet wird. Es schadet nicht, die Konzentration der Berufungsverfahren bei den Oberlandesgerichten zunächst einmal in der Praxis zu erproben und aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen dann die notwendigen und gebotenen Schlussfolgerungen zu ziehen.

In Anbetracht der außerordentlich guten Erfahrungen, die wir in unserem Gerichtswesen mit eindeutigen Zuweisungen von Funktionen an die jeweiligen Instanzen gemacht haben, wäre es sicherlich sinnvoll gewesen, auch diesen Schritt bereits jetzt zu vollziehen. Zur praktischen Realisierung einer Reform des Zivilprozessrechtes ist aber eine breite Akzeptanz erforderlich. Erst wenn diese Akzeptanz gegeben ist, wird der damit beabsichtigte Erfolg auch eintreten.

Zusammenfassend, meine Damen und Herren, kann ich feststellen, dass mit dieser Reform die Justiz gut für ihre zukünftigen Aufgaben gerüstet ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat das Wort der Kollege Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein großer Wurf sollte es werden. Die alte Dame ZPO sollte nicht nur aufpoliert werden,

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damen poliert man nicht!)

sondern es sollte eine Runderneuerung erfolgen. Wie der Kollege Siemann so treffend gesagt hat: Dieses Reformvorhaben ist als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Die Luft ist raus. Aus der großen Reform, die eine Jahrhundertreform werden sollte, ist ein Reförmchen geworden.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein Deförmchen!)

Die SPD und auch die Grünen wollten damit ja in die Geschichte eingehen, zu mindest in die Rechtsgeschichte.

(Zuruf von der SPD: Gehen wir auch!)

Mit dieser rechtspolitischen Ruine werden sie in die Geschichte eingehen, aber nicht so, wie sie es geglaubt haben.

Insgesamt sind wir dankbar dafür, dass diese Reform entsprechend zusammengestutzt worden ist. Wir haben auf diese Weise, wie ich meine, unsere gut funktionierende Justiz er halten. Die jetzigen Regelungen werden den Justizablauf zwar behindern, aber sie werden ihn nicht maßgeblich stören können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [F.D.P.] - Lachen bei der SPD)

Verehrte Frau Justizministerin, an Ihrer Stelle würde ich hier eigentlich heute in Sack und Asche Buße tun, denn Sie haben diese Reform nun wirklich in der Öffentlichkeit angepriesen. Lesen Sie doch einfach einmal, was der "Spiegel", den ich sonst gar nicht so gern zitiere, von dieser Woche dazu schreibt. Dann werden Sie feststellen, was der "Spiegel" und ähnlich aus gerichtete Zeitschriften von Ihrer Reform halten.

(Zuruf von der SPD: Sie lesen ihn immer nur, wenn es Ihnen gefällt!)

- Warum müssen Sie immer so meckern? Nur weil ich Geis heiße? Lassen Sie es doch einmal bleiben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns in aller Ruhe diesen Scherbenhaufen, der nun übrig geblieben ist, betrachten.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Ich habe schon immer vermutet, dass Sie das nicht richtig gelesen haben!)

Wie ist es zu diesem Scherbenhaufen gekommen? Ich habe noch nie einen solch massiven Widerstand der Fachwelt gegen ein Reformvorhaben der Regierung erlebt. Die Anwälte sind regelrecht auf die Barrikaden gegangen;

(Hermann Bachmaier [SPD]: Aber auch wieder heruntergekommen!)

sie haben Anzeigen geschaltet und das Gespräch mit dem Bundeskanzler gesucht. Die Richter waren nicht etwa verschnupft. Nein, sie haben ganz erheblichen Widerstand gegen diese Reform geleistet. 23 deutsche Oberlandesgerichtspräsidenten haben auf ihrer Konferenz im Sommer letzten Jahres zu dieser Reform ihr kategorisches Nein erklärt und Widerstand angekündigt.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Recht haben sie gehabt!)

Diesem Widerstand konnten Sie nicht länger standhalten. Es hätte einer Kamikazementalität bedurft, um diesen geballten Angriff der Fachwelt aushalten zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben aus diesem Grunde nachgegeben und nicht, wie ich vermute, aus besserer Einsicht.

Das Ziel Ihrer Reform, die Dreistufigkeit unseres Gerichtsaufbaus - wenn auch in verschiedenen Schritten - zu erreichen, haben Sie im Grunde nicht auf gegeben. Das zeigt sich nach der Reform der Reform an Veränderungen hin sichtlich der Berufungsinstanz, an der Experimentierklausel und an der zentralen Stellung des Einzelrichters. Ich werde das nachher noch erläutern.

Auch wir hatten einen Entwurf vorgelegt.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn jetzt?)

Er stammt aus der letzten Legislaturperiode. Wir haben ihn seinerzeit mit den Ländern erörtert und entwickelt. Sie haben daran mitgewirkt. Es war deshalb auch ganz logisch und richtig, dass die großen Parteien diesen Entwurf, soweit es den ZPO-Anteil angeht, in der letzten Legislaturperiode gemeinsam verabschiedet haben. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass es keinen Widerstand gegen den ZPO-Teil gab.

Weil dieser Entwurf im Vermittlungsausschuss aufgrund einer Klausel - über die man streiten kann, die ich aber gar nicht für so verkehrt halte - gescheitert ist und schließlich der Diskontinuität verfallen ist, war es logisch, dass wir ihn neu einbringen. Wir hatten die Hoffnung, dass wir auf ein neues Interesse stoßen. Aber Sie wollten über diesen Entwurf nicht sprechen. Sie wollten vielmehr groß herauskommen und Ihren eigenen Entwurf einbringen. Sie haben deshalb unseren Entwurf von vornherein nicht behandeln wollen. Wir haben zugestimmt, zunächst die Beratung Ihres Entwurfs abzuwarten, obwohl wir unseren Entwurf vorher eingebracht haben.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Sie wollten Ihren Entwurf gar nicht mehr wahrhaben! - Joachim Stünker [SPD]: Sie haben ihn verleugnet!)

Unser Entwurf wurde aber nicht zum Gegenstand der Beratung. Ich gebe Ihnen zu, dass wir unseren Entwurf nach dieser Diskussion heute nicht so verabschieden würden, wie wir ihn eingebracht haben.

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

Frau Ministerin, im Übrigen haben wir hier noch nie ein Gesetz so verabschiedet, wie es in das Parlament eingebracht wurde. Im Rechtsausschuss gab es schon viele fruchtbare Diskussionen und es wurden dort schon immer Änderungen vorgenommen. Es sei festgehalten, dass wir gemeinsam schon viele gute Regelungen auf den Weg gebracht haben. Es sei auch anerkannt, dass die entsprechende Diskussion, die wir mit Ihnen im Rechtsausschuss geführt haben, fruchtbar - wir konnten das Schlimmste verhindern; das wissen Sie - im Sinne einer vernünftigen ZPO-Regelung war.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Was? Was haben Sie denn verhindert?)

- Es waren die Opposition und - wenn ich das einmal so sagen darf - die außer parlamentarische Opposition, nämlich die Fachwelt, die einen so großen Wider stand geleistet haben, weil sie mit Ihrem Entwurf nicht einverstanden sein konnten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist völlig klar, dass auch unser Entwurf heute nicht so zur Abstim mung gestellt worden wäre, wie wir ihn eingebracht haben. Diese Erkenntnis haben wir aufgrund der Diskussion in den letzten eineinhalb Jahren gewonnen. Weil unser Entwurf nicht Gegenstand der parlamentarischen Erörte rung geworden ist - Sie haben sich nicht darauf eingelassen -, war es logisch und richtig, ihn am Ende zurückzuziehen.

Woran entzündete sich der Widerstand? Die Fachwelt hat insgesamt erkannt, dass unsere Rechtsordnung einen sehr schweren Schaden nehmen würde, wenn Ihre Reform unverändert und ungestutzt in das Gesetzblatt auf genommen werden würde. Deswegen hat die Fachwelt sofort heftigsten Widerstand geleistet. Der Widerstand und die Diskussion entzündeten sich zunächst einmal an den Regelungen bezüglich des Berufungsverfahrens. Sie hatten diesbezüglich ganz andere Vorstellungen. Sie wollten aus der Berufungsinstanz eine reine Rechtskontrollinstanz machen. Durch die Diskussion sind Sie eines Besseren belehrt worden. Ihren Vorstellungen wurde sozusagen die Spitze genommen.

(Zuruf der Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin)

- Frau Präsidentin, vielleicht könnten Sie einmal die Frau Ministerin bitten, damit aufzuhören, Witze zu machen.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Sie sind so komisch, Herr Geis, da muss man lachen!)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich möchte die Frau Justizministerin bitten, keine Zurufe von der Regierungsbank zu machen, um die Würde des Parlaments zu wahren.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Aber lachen darf ich?)

- Aber nicht zu laut, Frau Ministerin, das stört den Redner.

Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Ministerin, solange Sie über Ihr eigenes Versagen lachen, soll es mir recht sein.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine schöne Büttenrede, Herr Geis! - Hermann Bachmaier [SPD]: Humor hat schon immer Berge versetzt!)

Wir haben mit Recht angenommen, es sei wichtig, dass die rechtsuchende, in einem Prozess unterliegende Partei die Chance haben muss, mit ihrem Sachvortrag voll und ganz in die nächste Instanz zu gehen. Bei der Berufung geht es nicht um Rechtskontrolle - in einer Rechtsstreitigkeit ziviler Natur macht die Rechtskontrolle 10 Prozent aus -, sondern um den Sachverhalt und bei der Feststellung des Sachverhalts werden die Fehler gemacht.

(Joachim Stünker [SPD]: Das ist bei jedem Rechtsstreit so!)

Deshalb ist es wichtig, dass man in zweiter Instanz die Möglichkeit hat, den Sachverhalt erneut und ohne Einschränkung überprüfen zu lassen. Diejenigen Einschränkungen, die wir in den Jahren 1990 und 1993 vorgenommen haben, gingen vielen von uns - ich erinnere an die Haltung der F.D.P. - aus den von mir genannten Gründen eindeutig zu weit.

Unsere Lehre sollte sein: Es ist gefährlich, an der falschen Schraube zu drehen. Es ist wichtig und notwendig, dass der Rechtsuchende, der in der ersten Instanz unterlegen ist, seinen Sachverhalt voll und ganz in die zweite Instanz einbringen kann. Wir nehmen die von uns selbst 1990 und 1993 eingeführten Beschränkungen hin; aber damit ist es auch gut. Die Beschränkungen dürfen nicht weiter gehen. Sie aber verschärfen die Beschränkungen heute.

(Joachim Stünker [SPD]: Wo denn?)

Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Wir sind der Meinung, dass dem Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger auch nach der Reform dieser Reform immer noch nicht genügend Rechnung getragen wird.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Reden Sie jetzt von Ihrem Entwurf, Herr Geis, oder wovon? - Joachim Stünker [SPD]: Wo denn?)

- Herr Stünker, stänkern Sie nicht immer so viel und lassen Sie mich ausreden! - Wir lehnen diese Reform daher auch in diesem Teil ab.

Der Versuch, für die Zuständigkeit aller Berufungen das Oberlandesgericht zu bestimmen, hat eine heftige Diskussion hervorgerufen. Unserer Auffassung nach kann man bei einem Streitwert von 1200 DM - bekanntlich ist jetzt ab diesem Streitwert die Berufung möglich - einer rechtsuchenden Person, die in erster Instanz unterlegen ist, nicht zumuten, vor einem weit entfernten Oberlandesgericht zu klagen, damit die dortige Berufungsinstanz seine Sache überprüft.

(Joachim Stünker [SPD]: Das machen wir ja gar nicht!)

Das ist eingesehen worden. Wir haben hier immer wieder getrommelt und Sie haben sich unseren Argumenten letztendlich angeschlossen und Ihr Vorhaben zurückgezogen.

Allerdings sind Sie bei der Experimentierklausel geblieben. Damit unternehmen Sie den Versuch, die von Ihnen gewünschte Dreistufigkeit doch noch durchzusetzen. Sie warten ab, ob der so heftige Widerstand mithilfe der Experimentierklausel nicht doch eines Tages gebrochen werden kann. Das wollen wir nicht akzeptieren. Wir wollen die Dreistufigkeit nicht. Uns passt die ganze Richtung nicht.

Die Dreistufigkeit gab es schon einmal, und zwar während der Kriegszeit. Die Dreistufigkeit wurde durch das Rechtseinheitsgesetz von 1950 abgeschafft. Damals wurde erklärt: Wir schaffen die Dreistufigkeit ab, weil wir meinen, dass es besser ist, wenn der Bürger vom Amtsgericht zum Landgericht geht und dort seine Berufungssache vortragen kann. In der DDR wurde bis zur Wiedervereinigung die Dreistufigkeit beibehalten. Wir brauchen die Fehler der Kriegszeit - kriegsbedingt war die Dreistufigkeit vielleicht notwendig; das will ich nicht beurteilen -, die man in der DDR, blind wie man war, fortgesetzt hat, nicht zu wiederholen.

Ich bitte Sie sehr herzlich: Lassen Sie die Dreistufigkeit weg und bleiben Sie bei unserem System, das - ich gebe es zu - aus dem Jahre 1877 stammt. In diesem Jahr ist das GVG entstanden und es hat sich bewährt. Auch aus diesem Grund wehren wir uns gegen die Experimentierklausel. Außerdem meinen wir, dass mit dieser Klausel eine gewisse Unübersichtlichkeit entsteht. Es könnte sehr leicht der Fall eintreten, dass man in dem einen Land vor dem Oberlandesgericht klagen muss, um seine Berufung vorzutragen, während man in einem anderen Land vor einem Landgericht klagen muss. Das alles bedeutet Rechtsuneinheitlichkeit. Wir fallen zurück in die Zustände des 18. Jahrhunderts, als wir das alles schon einmal hatten.

(Dirk Manzewski [SPD]: Das ist doch der Sinn einer Experimentierklausel!)

Das wollen wir nicht. Wir lehnen aus all diesen Gründen diese Experimentierklausel ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Letzter Punkt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie billigen dem Einzelrichter eine zu große Bedeutung zu. Sie geben ihm einen zu großen Wirkungskreis und schaffen auf diese Weise praktisch die Kammer am Landgericht ab.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Reden Sie jetzt wieder von Ihrem Entwurf?)

- Lesen Sie Ihren eigenen Entwurf durch. - Die Kammer wird praktisch zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Unser Entwurf sah das nicht vor. Wir hatten die Kammer immer noch beibehalten. Aber ich gebe zu, Herr Stünker, dass die Stellung des Einzelrichters auch in unserem Entwurf aus heutiger Sicht und nach diesem Diskussionsprozess uns zu weit geht. Das haben wir alle in der letzten Legislaturperiode noch für richtig gehalten. Sie nicht, Herr Stünker, weil Sie noch nicht Mitglied dieses Hauses waren. Ich bin der Meinung, dass wir damals bei der Bedeutung, die wir dem Einzelrichter ein geräumt haben, zu weit gegangen sind. Wir hätten heute diesen Vorschlag in unserem eigenen Entwurf so nicht verabschiedet, wenn es denn überhaupt zur Diskussion darüber gekommen wäre. Das ist ganz sicher.

(Joachim Stünker [SPD]: Der Rechtsausschuss hat das abgelehnt!)

Es gibt erhebliche Bedenken gegen die Abschaffung des Kammersystems. Warum wollen Sie dieses Kammersystem abschaffen?

(Hermann Bachmaier [SPD]: Das haben wir doch gar nicht abgeschafft! Das stimmt doch nicht!)

- Sie haben es praktisch abgeschafft. Lesen Sie Ihren Entwurf einmal richtig durch! Das sage nicht nur ich, das sagen auch die Fachkreise.

Wir hatten das Ganze schon einmal. Ich wiederhole: In der Kriegszeit wurde das Kammersystem abgeschafft, 1950 wurde es durch das Rechtseinheitsgesetz wieder eingeführt. Man hat es damals aus zwei Überlegungen wieder eingeführt: einmal, weil man meinte, auf diese Weise junge Richter besser auf ihre Tätigkeit vorbereiten zu können - das haben Sie mit berücksichtigt -; aber zum Zweiten auch, weil die Kammer für die Rechtsfindung besser geeignet ist. Sechs Augen sehen vielleicht mehr als zwei Augen.

Wir reden heute überall von Teamarbeit. In der ganzen Welt wird Teamarbeit groß geschrieben, nur nicht bei der Justiz. Das ist eigentlich nicht einzusehen. Deswegen sind wir gegen die Abschaffung der Kammer und gegen die besonders herausgehobene Position des Einzelrichters. Auch insoweit lehnen wir den Entwurf ab.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das waren die drei wichtigsten Gründe, die uns dazu führen, auch die Reform der Reform abzulehnen. Aber wir haben noch andere Punkte, mit denen wir uns nicht einverstanden erklären können. Das Güteverfahren ist für uns zu formalisiert. Die Pflicht zur Aktenkundigmachung gerichtlicher Hinweise halte ich für zu formalistisch.

(Dirk Manzewski [SPD]: Das ist gängige Praxis heute!)

- Darüber haben wir lang und breit diskutiert.

Die Gehörsrüge wird nicht helfen, das Verfassungsgericht zu entlasten. Ich habe auch größte Bedenken gegen die Pflicht Dritter, Schriftstücke und Urkunden vorzulegen. Damit ziehen wir Dritte in einen Rechtsstreit hinein. Das sollten wir nicht tun. Auf zivilrechtlicher Ebene haben Dritte in einem Rechtsstreit, der zwischen zwei Parteien geführt wird, nichts verloren und sie sollten deswegen auch nicht in den Streit hineingezogen werden.

Das Revisionsverfahren, das nur noch der Rechtsvereinheitlichung und der Rechtsfortbildung dienen soll, können wir nicht unterstützen. Man kann sich darüber unterhalten, ob man die Streitwertbindung bei der Revision beibehalten soll. Da gibt es viele Möglichkeiten. Aber das Revisionsverfahren, das nur noch der Rechtsvereinheitlichung und nur noch der Rechtsfortbildung dienen soll - und das auf Kosten der streitenden Parteien -

(Joachim Stünker [SPD]: Aber Herr Geis!)

und in dem die Einzelfallgerechtigkeit verloren geht, halten wir für falsch. Deshalb lehnen wir auch diesen Punkt der Reform ab.

Wir sind der Meinung, dass Ihr Gesetzentwurf zu einer Rechtsruine ge worden ist, die wir der Bevölkerung so nicht zumuten können. Ich möchte Sie bitten - obwohl ich weiß, dass ich diese Bitte vergebens ausspreche -: Nehmen Sie Ihren Entwurf zurück! Sie täten damit der deutschen Rechtsöffentlichkeit und der deutschen Rechtskultur einen Gefallen. Aber Sie werden es nicht tun. Wir werden diesen Entwurf ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das war nun wirklich ein zirkusreifer Eiertanz, den Sie hier gerade vorgeführt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Der Rechtsgelehrte Beck!)

Da haben Sie letzte Woche einem Gesetzentwurf Ihrer Fraktion zugestimmt, von dem Sie im Laufe der Woche gemerkt haben, dass er so schlimm ist, dass Sie ihn wieder zurückziehen müssen und ihn nicht mehr zur Abstimmung stellen wollen. Immerhin, Sie haben etwas dazugelernt. Aber, Herr Geis, das war nun wirklich keine konsequente rechtspolitische Position.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Reden Sie über Ihren Entwurf, da haben Sie genug zu reden! Aber da weigern Sie sich ja!)

Ich finde es schon sehr beachtlich, wie die Diskussion in Ihrer Fraktion verlaufen sein muss.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da brauchen Sie keine Angst zu haben!)

Sie haben offensichtlich ein ziemlich schlechtes Gewissen, dass Sie die Koalition in Punkten angegriffen haben, die in Ihrem Gesetzentwurf in einer rechts staatlich äußerst problematischen Art und Weise stehen und bei denen die Koalition ausgewogene und vertretbare Lösungen gefunden hat.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben unseren Entwurf nie gelesen, Herr Beck! Und wenn Sie ihn gelesen haben, haben Sie ihn nicht verstanden!)

- Ich habe ihn gelesen und manches - ich komme nachher noch auf einen Punkt zu sprechen - finde ich wirklich erschreckend.

Mehr Bürgernähe, mehr Transparenz, mehr Effizienz - das ist die Über schrift über die Zivilprozessreform, die wir heute verabschieden. Diese Reform schafft den Spagat zwischen mehr Rechtsstaatlichkeit für die Rechtsuchenden und zügiger Erledigung von Rechtsstreitigkeiten. Wenn es unter Schwarz-Gelb um die Zivilprozessordnung ging, so wurden ausschließlich reine Beschleunigungsmaßnahmen beschlossen. Die so genannten Rechtspflegeentlastungsgesetze gingen regelmäßig zulasten der Rechtsuchenden. Sie waren Rechtsmittelverhinderungsgesetze. Gedreht wurde an der Streitwertschraube, falsche Urteile erwuchsen in Rechtskraft. Zur Not konnte allenfalls das Bundesverfassungsgericht korrigierend eingreifen. Wir alle wissen, wie hocherfreut Karlsruhe über diese Aufgabenzuweisung war.

Die Koalition kehrt mit dieser Reform den Trend der vergangenen Jahre um, obwohl auch Rot-Grün diesmal an der Streitwertschraube gedreht hat, allerdings in die andere Richtung. Wir haben die Berufungssumme auf 1200 DM gesenkt und wir haben mit einer Zulassungsberufung selbst für wertmäßig dar unter liegende Streitfälle ein Rechtsmittel geschaffen. Mit der Abhilfeentscheidung bei Verletzung des rechtlichen Gehörs ent lasten wir das Bundesverfassungsgericht und wir schaffen vor allem die Möglichkeit, eklatant fehlerhafte Urteile zügig zu korrigieren. Das ist auch ganz wichtig für den kleinen Mann als Rechtsuchenden vor Gericht.

Der Stuttgarter Professor Udo Kornblum hat im "Deutschen Anwaltsblatt" vom November 2000 im emotionslosen Juristendeutsch gesagt, wie man diese Maßnahmen interpretiert. Sie seien "eine nicht unbeträchtliche Verbesserung des gegenwärtigen Rechtszustands". Recht hat er!

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Lesen Sie doch einmal vor, was ein Gegner gesagt hat!)

Nicht der Wert eines Rechtsstreites soll künftig darüber entscheiden, ob ein Urteil anfechtbar ist. Diese Philosophie zieht sich durch die gesamte Reform. Im Revisionsrecht haben wir auf die willkürliche Rechtsmittelwertschranke von 60000 DM ganz verzichtet. Ohne dass - das betone ich - die Einzelfallgerechtigkeit auf der Strecke bleibt, wird sich der BGH künftig wieder auf seine ureigensten Aufgaben konzentrieren: die Überprüfung von Grundsatzfragen sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Es war schon unglaublich, mit welchen teils recht widersprüchlichen Argumenten der Reformkritiker sich die Koalition im Gesetzgebungsverfahren auseinander setzen musste. Mal hieß es, wir würden die Rechtsmittel der Bürger im Hinblick auf zu viel Effizienz beschneiden, mal hielt man uns vor, die Reform gehe nicht weit genug, eigentlich würde alles beim Alten bleiben.

Die Wahrheit liegt in der Mitte. Diese Reform ist eine gelungene Mischung richtiger Maßnahmen, mit denen die Interessen aller am Zivilprozess Beteiligten hinreichend berücksichtigt werden.

Mit der Experimentierklausel bleibt die Perspektive der Dreistufigkeit im Instanzenzug gewahrt. Sicher, mir wäre es lieber gewesen, wenn wir die Berufungsinstanz sofort einheitlich bei den Oberlandesgerichten installiert hätten. Herr Geis hat heute in seiner Rede eigentlich nicht einen einzigen Grund angegeben, warum dies falsch wäre; er hat nur wortreich erklärt, dass er dagegen ist. Ich hoffe daher, dass sich möglichst viele Bundesländer an dem wissenschaftlich begleiteten Experiment beteiligen werden. Wir haben eine flexible Regelung geschaffen. Ich bin mir sicher, dass es 2007 nur vernünftig sein wird, das GVG entsprechend zu ändern.

Aber, Herr Geis, vielleicht könnten Sie hier Ihren Einfluss in den unionsgeführten Ländern noch einmal geltend machen. Möglicherweise überlegen Sie sich noch einmal, wenn das Gesetz beschlossen ist, ob es nicht einen Versuch wert wäre, dass es in A- und B-Ländern zu entsprechenden Versuchen kommt.

(Beifall der Abg. Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wer aber, wie die Union, in allen Bereichen der Justizpolitik getreu dem Adenauer-Motto "Keine Experimente" verfährt, der sollte hier mit seiner Kritik lieber zurückhaltender sein.

Meine Damen und Herren, profitieren werden von der Reform in erster Linie die Rechtsuchenden in diesem Land. Die Lobby für diese Gruppe ist ja im Gesetzgebungsverfahren oft zu kurz gekommen.

Manche Organisationen haben vorgegeben, die Interessen der Bürge rinnen und Bürger zu vertreten. Ich erinnere nur an den großen Automobilklub, der in seinen Stellungnahmen um die Rechtsstellung der Autofahrer als Geschädigte von Verkehrsunfällen fürchtete. Ich glaube, wir Grüne sollten bei künftigen rechtspolitischen Vorhaben wieder vermehrt die zahlreichen Fahrrad organisationen in diesem Lande um ihren kompetenten rechtspolitischen Rat fragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Berufsverbände waren bei dieser Reform oft hin und her gerissen. Manche Interessenvertreter mussten nach außen gelegentlich etwas anderes verkünden, als sie zuvor noch in persönlichen Gesprächen gegenüber der Koalition geäußert hatten. Breit angelegte Anzeigenkampagnen einer Organisation waren sicher Wasser auf die Mühlen der Opposition. Aber, Herr Kollege Funke, so wie Sie im Berichterstattergespräch den Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Herrn Rechtsanwalt Dr. Streck, angegangen sind, nur weil er nicht nach der Pfeife der F.D.P. tanzen wollte, war schon ziemlich unglaublich.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da finde ich aber vieles unglaublicher, was Sie gemacht haben!)

Es soll kein Missverständnis entstehen: Diese Justizreform sendet nicht das Signal aus: Prozessieren lohnt sich wieder. In Deutschland wird nämlich zu viel prozessiert. Mit der Reform der Rechtsmittel wollen wir die Parteien nicht ins Rechtsmittel drängen. Im Gegenteil: Mit der Stärkung der ersten Instanz bei Amts- und Landgerichten durch Akzentuierung der richterlichen Hinweis- und Aufklärungspflichten, aber auch durch Beibringungspflichten der Parteien wird sich die Akzeptanz von Gerichtsentscheidungen erhöhen, gerade die der ersten Instanz, übrigens auch bei den Rechtsuchenden, die nicht anwaltlich vertreten sind. Das hat die AgV, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, in ihrer Stellungnahme ausdrücklich gewürdigt.

Wir wollen, dass die Parteien möglichst auch dann einen Richterspruch akzeptieren, wenn sie den Prozess verlieren. Wenn eine Partei künftig zügiger zu einem berechtigten Titel kommen wird, weil zum Beispiel eine komplette Beweisaufnahme, deren Ergebnis bereits vorher feststeht, nicht wiederholt werden muss, dann bedeutet auch dies keine Erosion des Rechtsstaates, sondern Qualitätsverbesserung.

Am liebsten wäre es uns, wenn die Parteien von zeitraubenden und kostspieligen Rechtsstreitigkeiten überhaupt verschont blieben. Deshalb ist die Einführung einer obligatorischen und trotzdem flexiblen Güteverhandlung auch im Zivilprozess ein echter Fortschritt. Nachdem 1999 bereits die außergerichtliche Streitbeilegung in Kraft getreten ist, stärkt die Koalition den Gütegedanken jetzt auch im Gerichtsverfahren selbst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Modernisierung des Zivilprozesses ist keine bloße Worthülse. Wie modern wir den Zivilprozess machen, zeigt beispielsweise die neu geschaffene Möglichkeit der Videokonferenz im Prozess. Zeugen müssen nicht mehr Hunderte Kilometer zurücklegen, um zwei Minuten vernommen zu werden. Mit einer solchen Regelung minimieren wir letztlich die Kosten eines Prozesses, die ja am Ende von den Rechtsuchenden zu tragen sind.

Noch zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens warf uns die Opposition vor, alles gehe hopplahopp und sie sei bei den Beratungen nicht hin reichend einbezogen worden. Wie sich in einer der letzten Rechtsausschusssitzungen herausgestellt hat, ist diese Kritik jetzt wohl vom Tisch. Herr Geis, Sie haben uns sogar ausdrücklich für die kommunikative Offenheit gelobt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Heute wieder!)

Für dieses Lob bedanken wir uns. Aber, Herr Geis, es wäre jetzt nur konsequent, wenn Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen diesem Gesetz heute zustimmen würden,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn Sie es zurücknehmen würden!)

zumal, wie Sie selbst am besten wissen, der Entwurf Ihrer Fraktion, der heute Morgen ja noch vorhanden war, dem, was wir heute beschließen, sogar ähnelt, nur mit einem kardinalen Unterschied: Die Reform der rot-grünen Koalition ist rechtsstaatlich ausgereifter. Wenn ich mir in Ihrem Entwurf beispielsweise die Verwerfungskompetenz des Berufungsgerichtes bei offensichtlicher Unbegründetheit anschaue, dann wird mir wirklich angst und bange.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben in der letzten Legislaturperiode noch zugestimmt!)

Von der Wahrung des rechtlichen Gehörs kann da nun überhaupt keine Rede mehr sein.

Auf einen solchen Abbau der Justizgrundrechte der Bürgerinnen und Bürger hat sich die Koalition bei dieser Justizreform zu Recht nicht eingelassen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Vor drei Jahren haben Sie noch anders geredet!)

Wir haben eine vernünftige Reform vorgelegt. Nach ein paar Jahren Praxis werden Sie dies wahrscheinlich selbst hier an diesem Pult bestätigen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke für die F.D.P.-Fraktion das Wort.

Rainer Funke (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesjustizministerin war ja mit dem hohen Anspruch einer allumfassenden Justizreform gestartet. Aus dieser Justizreform ist nun nichts geworden. Gerade einmal eine Novelle zur Zivilprozessordnung ist es geworden. Diese Entwicklung ist zu begrüßen, wenn auch das Ergebnis nach wie vor abzulehnen ist.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu Recht haben praktisch alle am Wirtschaftsleben und am Justizwesen Beteiligten die ursprünglichen Vorschläge der Bundesjustizministerin abgelehnt. Dies gilt ins besondere für die angestrebte Dreistufigkeit unseres Gerichtswesens. Herr Kollege Beck, wenn Sie nicht telefonieren würden, würde ich Sie darauf aufmerksam machen, dass auch das jetzige Ergebnis von der Bundesrechtsanwaltskammer, in der alle Anwälte vertreten sind, abgelehnt wird. In der Tat habe ich in dem Berichterstattergespräch, das wir mit dem Präsidenten des Anwaltvereins geführt haben - das ist auch mein Präsident; ich bin ja Mitglied des DAV -, gefragt - ich habe ihn nicht angegriffen -, wie er denn nun zu dieser Justiznovelle steht. Da hat er nicht sagen können: "Ich bin dafür" oder: "Ich bin dagegen". Es gab vielmehr ein entschiedenes Sowohl-als-auch.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Der ist Jurist, Herr Funke!)

- Herr Urbaniak, ich weiß, dass Sie Juristen sonst sehr schätzen. Wir haben ja schon viele schöne Dinge gemeinsam umgesetzt. - Dieses Sowohl-als-auch vom Präsidenten des Anwaltvereins fand ich in der Tat nicht gerade zielführend.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Mager!)

Diese Ablehnung durch die Beteiligten erfolgte meines Erachtens auch deshalb zu Recht, weil das Bundesjustizministerium den Reformbedarf im Zivilprozess nicht hat darlegen können. Wer eine Reform will, trägt sozusagen die Beweislast dafür, dass tatsächlich auch ein Reformbedarf vorhanden ist.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die deutsche Ziviljustiz funktioniert im Vergleich zu der in anderen europäischen Ländern im Großen und Ganzen gut. Der Bürger erhält innerhalb einer angemessenen Zeit ein Urteil. Natürlich kann man sich überall Verbesserungen wünschen und umsetzen. Vieles Wünschenswerte, beispielsweise die Ausstattung der Gerichte mit technischen Hilfsmitteln, liegt aber in der Länderkompetenz.

Jede Novellierung der Zivilprozessordnung hat sich meines Erachtens an zwei Grundfragen zu orientieren: Erstens. Der Rechtsschutz des Bürgers muss verbessert und darf nicht verkürzt werden. Zweitens. Die Belastung der Justiz darf zumindest nicht verschärft werden. Beide Voraussetzungen erfüllt die Novelle nicht,

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

wenn auch nicht zu verkennen ist, dass einzelne Verbesserungen in der ZPO, wie zum Beispiel die Videovernehmung von Zeugen, durchaus sinnvoll sind

Der Bürger hat ein Interesse daran, dass sein Prozess schnell und zügig abgewickelt wird und er rasch ein Urteil erhält, das er auch schnell vollstrecken lassen kann. Auch ist es im Interesse des Rechtsfriedens, dass der Bürger in möglichst kurzer Zeit weiß, wie das Gericht entscheidet. Ich sage Ihnen voraus - auch Sie als Anwalt, Herr Kollege Bachmaier, der zu den Gerichten zu gehen hat, werden das alsbald feststellen -, dass dieses Ziel nicht erreicht wird, sondern dass sich im Gegenteil gerade die erstinstanzlichen Fälle länger hin ziehen werden.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Ich sehe das etwas anders!)

Die Verhandlungen in erster Instanz müssen von den Parteien gründlicher vorbereitet werden - auch von Ihnen, Herr Bachmaier -,

(Hermann Bachmaier [SPD]: Das ist nicht mehr steiger bar!)

im Übrigen auch in den Fällen, in denen Sach- und Rechtslage weitestgehend unstreitig sind. Vor allem die mündliche Verhandlung muss von den Richtern intensiver als bisher vorbereitet werden

(Zuruf von der SPD: Überhaupt nicht!)

und in den mündlichen Verhandlungen muss mit den Parteien intensiver und länger beraten werden.

(Joachim Stünker [SPD]: Wann waren Sie zuletzt im Gerichtssaal, Herr Funke?)

Dabei werden Vermerke über die im Rahmen der Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO gemachten Hinweise abgefasst und die Frage einer vergleichsweisen Streitbeilegung angesprochen werden müssen.

(Zuruf von der SPD: Das kann man doch erwarten, und zwar auch heute schon! Das wird auch heute schon so gemacht!)

Dies muss auch noch protokolliert werden. All diese Formalisierungen der mündlichen Verhandlung führen automatisch zu stärkeren Belastungen der Gerichte.

Bereits nach der geltenden Fassung der §§ 139 - ich komme genau zu dem, was Sie sagen wollen - und 278 ZPO hat der Richter Hinweispflichten. Jeder verständige Richter hat diese in der Vergangenheit auch wahrgenommen.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Dies gilt auch hinsichtlich der gütlichen Streitbeilegung nach § 278 ZPO in der jetzigen Fassung. Jeder verständige Richter hat schon im Interesse des Rechtsfriedens in jedem Stadium des Verfahrens auf einen Vergleich hingewirkt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dazu brauche ich aber die Formalisierung nicht.

Ursprünglich war im Regierungsentwurf vorgesehen, dass die im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen in der zweiten Instanz praktisch nicht mehr hätten überprüft werden können. Nachdem aber sowohl der Richterbund als auch die Anwaltsverbände hiergegen Sturm gelaufen waren, ist § 529 ZPO überarbeitet worden. Trotzdem erscheint uns die gefundene Formulierung nicht ausreichend, denn sie führt zu erheblichen Einschränkungen hinsichtlich eines neuen Sachvortrags in der zweiten Instanz. Damit ist der Individualrechtsschutz des Bürgers eingeschränkt; aber auf den kommt es meines Erachtens an.

(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])

Wir haben jetzt abzuwarten, wie die Gerichte § 529 ZPO auslegen. Das bedeutet zunächst einmal Rechtsunsicherheit und gerade die wollten wir eigentlich vermeiden.

(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es! - Joachim Stünker [SPD]: Der BGH wird es richten!)

- Ja, aber bis der Rechtsstreit zum BGH kommt, Herr Kollege, dauert es einige Zeit. In dieser Zeit besteht eine gewisse Rechtsunsicherheit. Das können Sie doch nicht bestreiten.

(Joachim Stünker [SPD]: Damit leben Sie seit 100 Jahren! - Walter Hirche [F.D.P.]: Und jetzt wollen Sie eine Verschlechterung!)

In den Beratungen des Rechtsausschusses und in den Berichterstattergesprächen haben wir hinsichtlich der Revision angeregt, dass ähnlich wie in der Finanzgerichtsordnung die Revision bei schwerwiegender Verletzung von Verfahrensgrundsätzen zulässig sein sollte. Dies ist von den Koalitionsfraktionen abgelehnt worden, obwohl eine Angleichung der Prozessordnungen durchaus zweckmäßig wäre. Auch dies führt zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes des Bürgers. Demgemäß wird die Nichtaufnahme dieses Revisionsgrundes von uns abgelehnt.

Zur Verkürzung des Rechtsschutzes trägt auch bei, dass in der Berufungsinstanz - sowohl beim Landgericht als auch beim Oberlandesgericht - weitgehend Einzelrichter tätig werden und vom Kammer- bzw. Senatsprinzip abgewichen wird.

Die F.D.P. spricht sich nach wie vor gegen eine Konzentration der Berufungsverfahren bei den Oberlandesgerichten aus. Dieser Einstieg in die Dreistufigkeit, der jetzt durch die Experimentierklausel ermöglicht wird, führt in der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Instanzenzuges zu einem Flickenteppich. Es kann eigentlich nicht richtig sein, wenn ein Hamburger Bürger einen anderen Instanzenzug hat als sein niedersächsischer Nachbar. Das kann für die Rechtsordnung nicht gut sein und führt zu anachronistischen Verhältnissen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Hermann Bachmaier [SPD]: Die paar Jahre werden Sie das verkraften!)

Die §§ 142 und 144 ZPO sind von Herrn Geis schon angesprochen worden. Diese Vorschriften führen eine Pflicht zur Vorlage von Urkunden gegen den Willen einer Partei und eines nicht am Prozess beteiligten Dritten ein. Das entspricht dem angloamerikanischen Discovery-System, das unserer zivilprozessualen Inter-partes-Lösung zuwiderläuft. Berechtigte Geschäftsgeheimnisse der Parteien und vor allem auch des unbeteiligten Dritten bleiben völlig ungeschützt. Die Amerikaner haben eine Reihe von Vorschriften, durch die Geschäftsgeheimnisse geschützt werden können. Wir sind hier aber der reinen Lehre gefolgt und haben keine entsprechenden Schutzvorschriften in § 142 ZPO aufgenommen.

Die vorliegenden Vorschriften führen zu einer erheblichen Belastung für die Justiz. Zudem wird sich jeder findige Anwalt zum Beweis seiner Behauptung zunächst einmal auf Schriftstücke beziehen, die sich im Besitz Dritter befinden, was die Prozesse unnötig verlängern wird und zu unnötigem Streit führt. Das mindert den Rechtsschutz des Bürgers und erhöht die Kosten des Verfahrens insbesondere in der ersten Instanz. Auch die Zahl der Berufungs- und Revisionsverfahren wird nicht etwa, wie beabsichtigt, geringer, sondern größer. Da mit wird die von den Ländern einmal angestrebte Kostenneutralität nicht gegeben sein.

Die Länderfinanzminister haben jedoch bereits angekündigt, nicht mehr Richterstellen zu bewilligen, sodass viele Richter befürchten, dass sie noch mehr Arbeit bekommen werden, obwohl sie schon am äußersten Rand ihrer Kapazitäten angelangt sind.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Walter Hirche [F.D.P.]: Auch das geht zulasten der Rechtsuchenden!)

Diese für die Richter zusätzliche Belastung scheint die Koalitionsfraktionen nicht zu interessieren. Eine Überlastung der Richter aber führt zu schlechten Urteilen.

(Joachim Stünker [SPD]: So ist es heute, Herr Funke!)

Durch Justizunfälle wiederum ist der Rechtsfrieden, der gerade in der Demokratie eine große Rolle spielt, gefährdet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler das Wort für die PDS-Fraktion.

Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute am Ende

einer langen, intensiven und zum Teil durch heftige Auseinandersetzungen geprägten Diskussion zum vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses.

Im Unterschied zu meinen Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, der F.D.P. und des Deutschen Anwaltvereins sehe ich durchaus erheblichen Reformbedarf in der Justiz angesichts deutlich unterschiedlicher Arbeitspensen der Richter an den Amts-, Land- und Oberlandesgerichten,

(Joachim Stünker [SPD]: Bravo!)

eines überholten vierstufigen Gerichtsaufbaus und einer notwendig gewordenen bürgerfreundlicheren, transparenteren und effektiveren Justiz.

Dass wir der vorliegenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses dennoch nicht zustimmen können - allerdings ohne Triumphgefühl und überzogene Polemik -, ist nicht so sehr auf eine Reihe von durchaus begrüßens-, zumindest jedoch bedenkens- oder erprobenswerten Einzelvorschlägen zur Stärkung der Eingangsinstanz zurückzuführen, sondern auf die zugrunde liegende Gesamtkonzeption in ihren zu erwartenden Auswirkungen auf die verschiedenen Instanzen der Zivilgerichtsbarkeit und nicht zuletzt auf die rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger.

Bei der Abwägung des Für und Wider des heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurfes waren für meine Fraktion vor allem folgende Aspekte ausschlaggebend:

Die Zivilprozessreform stand von Anfang an unter der Maßgabe der Kostenneutralität als einer Grundvoraussetzung für die Zustimmung der sie um setzenden Bundesländer. Die begrüßenswerte und notwendige Stärkung der ersten Instanz sollte deshalb im Wesentlichen über die Schaffung einer einheitlichen Berufungsinstanz bei den Oberlandesgerichten, einschließlich der Ein schränkungen bei den Rechtsmitteln, erreicht werden.

Da die deutlich höheren Arbeitspensen der Amtsrichter im Vergleich zu ihren Kollegen an den Landgerichten und insbesondere Oberlandesgerichten ohnehin eine personelle Verstärkung bei den Eingangsgerichten notwendig machen, äußerte ein nicht geringer, ja sogar großer Teil der Sachverständigen in der Expertenanhörung Ende

Dezember letzten Jahres erhebliche Zweifel daran, ob die voraussichtlich an den OLGs frei werdenden Stellen ausreichen würden, um die für die Stärkung der Eingangsinstanz erforderliche deutliche personelle Aufstockung zu ermöglichen.

(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist ja wohl logisch!)

Auch wir sind der Auffassung, dass eine kostenneutrale Reform nach dem vom Bundesjustizministerium entwickelten Konzept nicht machbar ist. Im Unterschied zu den Ländern, die nicht mehr Geld für die Justiz ausgeben wollen, bin ich jedoch der Meinung: Eine bessere Justiz muss in vertretbarem Rahmen auch mehr kosten dürfen. Eine solche Forderung ist weder realitätsfern noch unverschämt, wenn man sich vor Augen führt, dass sich die Justiz zu einem nicht geringen Teil über Gerichtskosten selbst finanziert und seit Jahren im Zuge etlicher Justizentlastungsgesetze unter erheblichem Sparzwang steht. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass Sie, Frau Ministerin, diese vorgefundene Situation nicht zu verantworten haben, die Schwierigkeiten einer Justizreform schon lange vorausgesehen haben und sich in einer Zwickmühle befinden.

Als Fazit bleibt jedoch: Ohne die für die wünschenswerte Stärkung der Eingangsinstanz notwendige deutliche personelle Aufstockung werden die Amtsrichter mit der erweiterten Dokumentations- und Hinweispflicht und den grundsätzlich erhöhten qualitativen Anforderungen an die Verhandlungsführung, insbesondere der Streitschlichtung, aber auch der Sachverhaltsaufnahme, in eine Überforderungssituation gebracht. Eine wesentliche Folge, die vor allem zulasten der Bürgerinnen und Bürger geht, werden längere Verfahrensdauern sein. Die tatsächlich gewollte Stärkung der Eingangsinstanz durch mehr Bürgernähe und Effizienz kann sich damit in das Gegenteil verkehren.

Die Einführung der so genannten Experimentierklausel hat zwar als Zugeständnis an die Länder, insbesondere an die Flächenländer, die zu Recht wegen der Bürgerferne der Berufungsgerichte interveniert hatten, dazu geführt, dass deren Widerstand spürbar abgeflaut ist. Summa summarum wird sich je doch das eingangs beschriebene Problem weiter zuspitzen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen ein Rechtsexperiment. Doch was geschieht in dem ganz über wiegenden Teil der Länder, die von dieser Experimentierklausel keinen Gebrauch machen? Hier werden keine Richter zur Stärkung der ersten Instanz frei. Auch die Hoffnung, die Länder würden unter dem Druck des Faktischen die notwendige personelle Aufstockung der ersten Instanz in die Wege leiten, reicht nicht.

Unter dem Strich bleibt also ein deutlich gestiegener Arbeitsanfall in der ersten Instanz, ohne dass eine Bereitstellung der dafür erforderlichen Stellen in Sicht ist. In den neuen Bundesländern stellt sich die personelle Situation für die Stellenfreisetzung in der zweiten Instanz noch ungünstiger dar, weil durch die gerichtliche Umstrukturierung Anfang der 90er-Jahre der Altersdurchschnitt der an den OLGs tätigen Richter bekanntlich in der Regel niedriger ist.

Die schon erwähnten Rechtsmittelbeschränkungen in der zweiten Instanz stellen einen weiteren Knackpunkt des Reformvorhabens dar. Die Absenkung der Berufungssumme und die Einführung einer Zulassungsberufung sind zunächst einmal begrüßenswerte Neuerungen. Auch erkenne ich durchaus an, dass die heftig umstrittene Einzelrichterregelung durch die Einführung einer Kannbestimmung sinnvollerweise abgeschwächt wurde. Die Beschlussverwerfung bei offensichtlich unbegründeten Berufungen ohne mündliche Verhandlung und ohne Überprüfungsmöglichkeit stellt jedoch einen deutlichen Verlust an Rechtsschutz dar.

Ebenso verhält es sich mit der jetzt vorgesehenen grundsätzlichen Bindung an die Tatsachenfeststellung in der ersten Instanz. Der dadurch verringerte Rechtsmittelschutz wird durch die Ausnahmeregelungen zur Berücksichtigung neuen Tatsachenvortrages nur abgeschwächt, aber nicht beseitigt.

Benachteiligt werden vor allem diejenigen, die sich in erster Instanz, meist aus finanziellen Gründen, nicht anwaltlich vertreten lassen, soweit nicht das Berufungsgericht selbst unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen eine erneute Sachverhaltsfeststellung für nötig erachtet. Gerade sie sind es je doch, die meist aus Unerfahrenheit und Rechtsunkenntnis nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Instanz vortragen und deshalb darauf angewiesen sind, dass sie in der zweiten Instanz gegebenenfalls durch einen Rechtsanwalt noch eingeführt werden können. Eine solche Regelung läuft damit dem Grundsatz der Bürgernähe zuwider und führt dazu, dass eine wirksame rechtliche Vertretung ohne Rechtsanwalt in erster Instanz wesentlich risikovoller wird.

Schließlich ist die Einführung der Grundsatzrevision bei gleichzeitiger Abschaffung der Streitwertrevision für meine Fraktion zwar akzeptabel; dies setzt jedoch die Einführung eines weiteren Zulassungsgrundes im Interesse des Individualrechtsschutzes voraus, und zwar das Vorliegen eines entscheidungserheblichen Verfahrensmangels.

Auch wenn meine Fraktion aus den genannten Gründen dieser Reform als Gesamtpaket nicht zustimmen kann, möchte ich mich am Ende dennoch sowohl für die bei den Berichterstattergesprächen als auch bei der Anhörung im Rechtsausschuss eingeräumten Möglichkeiten der ausführlichen Diskussion und des Austausches bedanken.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Was eine Selbstverständlichkeit ist!)

Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.

Joachim Stünker (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung einer wirklichen Strukturreform des Zivilprozessrechts, wie sie das Hohe Haus hier gleich vornehmen wird, ist historisch. Heute ist ein guter Tag für die ordentliche Gerichtsbarkeit in unserem Land,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ein guter Tag vor allen Dingen für die rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger in ihrem berechtigten Anspruch, als Prozessparteien schneller zu ihrem Recht zu kommen und vor allen Dingen die Entscheidungen auch zu verstehen, die letztlich dabei herauskommen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hängt nicht von uns ab, das hängt von den Richtern ab!)

Es ist aber ebenso ein guter Tag für die Richterinnen und Richter; sie werden zukünftig jeden Zivilrechtsstreit mit einem hocheffizienten und vor allem flexiblen Prozessrecht moderieren und entscheiden können, mit einem Zivilprozessrecht, das sie in die Lage versetzen wird, die neu und vermehrt auf die Zivilgerichtsbarkeit zukommenden Aufgaben in der Zukunft ohne neue Personalanforderungen zu bewältigen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

zudem mit einem Zivilprozessrecht, mit dem das Verfahren für alle an ihm Beteiligten transparenter werden wird, und letztlich einem Zivilprozessrecht, das endgültig Schluss macht mit der obrigkeitsstaatlichen Annahme, Herr Kollege Geis, gutes Recht oder umfassender Rechtsschutz müssten von der Höhe des zu entscheidenden Streitwerts abhängig sein. Damit wird in diesem Land endgültig Schluss gemacht

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Warten Sie mal die Praxis ab!)

und darauf sind wir stolz. - Ich bin über Jahrzehnte hinweg Praktiker gewesen, Herr Kollege Geis, wie Sie wissen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Davon merkt man aber nichts mehr!)

Wirkliche Rechtsstaatlichkeit zeigt sich für uns darin, dass jedem Rechtsuchenden unabhängig vom materiellen Wert und der Höhe des Begehrens das ganze umfassende Instrumentarium der Rechtsfindung bei der Streitschlichtung oder -entscheidung zur Verfügung stehen wird. Zukünftig kann also - um das einmal praktisch darzustellen - auch die Kaufpreisforderung oder die Werklohnforderung mit einem Streitwert von 5000 DM in die letzte Instanz bis zum Bundesgerichtshof kommen, wenn sich eine Partei völlig falsch behandelt fühlt und meint, es sei Unrecht, was da geschehen sei. Das ist mehr Bürgernähe, Herr Geis; das ist neu und das ist wichtig an unserem Entwurf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Norbert Geis [CDU/CSU]: Zur Rechtsfortbildung, zur Rechtsvereinheitlichung!)

Lassen Sie mich noch einmal ganz kurz die Schwerpunkte der skizzierten Reform nennen, und zwar aus einem bestimmten Grund, zu dem ich hinterher noch ein Wort sagen werde. Was machen wir?

Wir sehen Neuregelungen mit der Einführung moderner Kommunikationsmittel im Zivilprozess durch Zulassung einer Verhandlung im Wege der Videokonferenz vor, die Institutionalisierung des Schlichtungsgedankens im Zivilprozess durch die Einführung einer Güteverhandlung, die Erhöhung der Transparenz und Akzeptanz richterlicher Entscheidungsfindungen durch eine stärkere Betonung der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten, die Einführung des originär zuständigen Einzelrichters mit trotzdem noch wesentlichen Bestandteilen der Kammerzuständigkeit, den Abbau von streitwertabhängigen Zugangsbarrieren - darauf ist bereits hingewiesen worden - und eine deutlichere Funktionsdifferenzierung der Rechtsmittelebenen durch die Umgestaltung der Berufung in ein Instrument zur Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung. Wir führen beschleunigte Erledigungsmöglichkeiten bei substanzlosen Berufungen ein. Das Ganze ist die Wegbereitung zur Harmonisierung der Verfahrensordnungen in unserem Rechtssystem.

Wer dies alles, Herr Kollege Geis - aber Sie haben ja Herrn Siemann als Wortschöpfer angegeben, glaube ich -, ein "Reförmchen" nennt, der weiß wohl nicht, worüber er redet, der kennt den deutschen Zivilprozess nicht, wie er sich heute darstellt. Was wir hier letztlich machen, das ist eine grundlegende Reform.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Norbert Geis [CDU/CSU]: Dazu stehe ich natürlich: Das ist ein Reförmchen, gemessen an einer Reform!)

Herr Kollege Geis, wenn Sie davon reden, wir würden damit wieder die Zuständigkeitsverhältnisse - von einem Flickenteppich hat der Kollege Funke gesprochen - und Rechtsverhältnisse des 17. oder 18. Jahrhunderts schaffen, wenn wir bei der Konzentration der Berufungen bei Oberlandesgerichten eine Experimentierklausel einführen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Davon ist das, was in unserem Gesetz steht, weit entfernt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann haben Sie es nicht richtig gelesen!)

Das ist moderne Gesetzgebung, Herr Geis, wie wir gestern in der Anhörung zur Juristenausbildung von vielen Professoren gehört haben. Wir schaffen mit einer Experimentierklausel die Möglichkeit, dass sich die einzelnen Bundesländer differenziert beteiligen und der Gesetzgeber dann nach einer gewissen Zeit auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hatten wir alles schon einmal! Was ist daran neu?)

darüber entscheidet, wie die Zuständigkeiten denn in Zukunft aussehen sollen. Tut er es nicht, gilt das alte, heute geltende Recht; schafft er eine Neuregelung, gilt sie bundeseinheitlich. Wo ist da der Flickenteppich, von dem Sie gesprochen haben? Wo sind da die Verhältnisse des 18. und 19. Jahrhunderts? Sie bauen immer Popanze auf, von denen dann letzten Endes nur Luft übrig bleibt.

(Zuruf von der SPD: Heiße Luft! - Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir sehen eben die Konsequenzen Ihres Gesetzes!)

Wir sehen die Konsequenzen unseres Gesetzentwurfes. Auf Dauer wird die Rechtseinheit erhalten bleiben. Aus einem weiteren Grunde ist heute ein sehr guter Tag

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Schönes Wetter heute!)

für die ordentliche Gerichtsbarkeit in unserem Lande, denn bis heute Morgen gab es ja noch den Entwurf der Unionsparteien, der nun wohl zurückgenommen worden ist.

(Dirk Manzewski [SPD]: Gott sei Dank!)

- Gott sei Dank, Herr Kollege Manzewski, genauso ist es. Die F.D.P. hat zu dieser Frage überhaupt nichts vorgelegt. Das heißt, rechtspolitisch betrachtet, stehen Sie heute im Grunde genommen nackt da.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wieso denn? Wir sind doch angezogen!)

Plötzlich bestreiten Sie einen rechtspolitischen Reformbedarf, den Sie 1998 noch gesehen haben, weil Sie selber keine konkreten Vorstellungen haben.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es wäre besser, Sie würden Ihre Reform zurücknehmen!)

Nachdem Sie Ihren Entwurf zurückgenommen haben, ist nach meiner Überzeugung ein von Anfang an verfehlter rechtspolitischer Ansatz Gott sei Dank endgültig gescheitert. Die ständige Heraufsetzung der Streitwertgrenzen in Bezug auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen Amts- und Landgerichten sowie die Erhöhung der Beschwerdewerte für Berufungen und Revisionen, wie sie in den letzten 15 Jahren von Ihnen vorgenommen worden ist, haben letztendlich zu immer weniger Bürgernähe und Effizienz in der Justiz geführt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben doch immer zugestimmt! Das war doch Ihr Entwurf!)

Das ist heute das einheitliche Urteil in der Fachöffentlichkeit. Von daher, Herr Kollege Funke, ist der Reformbedarf, den Sie eben noch bestritten haben, für den Fachmann evident. Genauso wird es heute in der Praxis auch gesehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -

Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Fachwelt bestreitet das!)

Sie haben letzten Endes die Amtsgerichte, die heute im Durchschnitt jährlich knapp 750 Verfahren pro Richter zu bearbeiten haben, immer stärker belastet.

(Rainer Funke [F.D.P.]: Das wird nicht anders werden!)

Ein solches Vorgehen ist eben nicht bürgernah, sondern das genaue Gegenteil davon.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Was machen Sie denn? Sie belasten die Amtsgerichte auch!)

Die Kritik, die Sie heute an unserem Reformentwurf, teilweise lautstark und vehement - Herr Kollege Röttgen wird sicherlich gleich als praktizierender OLG-Anwalt pro domo sprechen -, vorgetragen haben, dass die Reform bereits im Ansatz überflüssig und aus einem großen Reformversprechen ein Reförmchen geworden sei, nehme ich gelassen entgegen. Ich weiß, wovon ich rede.

Die heute auf den Weg gebrachte Strukturreform des Zivilprozesses wird unumkehrbar sein. Sie wird die Streitkultur auf den verschiedenen Seiten des Zivilprozesses verändern.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Im Zivilprozess hat sich doch schon so viel verändert! Es ist nichts unveränderbar!)

Sie wird insbesondere die Struktur der Amts-, Land- und Oberlandesgerichte - hören Sie zu, Herr Geis - auf Dauer verändern. Wir werden als Ergebnis dieser Reform im Zivilprozess zukünftig mehr Richterinnen und Richter an den Amtsgerichten haben und werden mehr Richterinnen und Richter dort einsetzen können, wo bereits heute 1,5 Millionen rechtsuchende Menschen ihre Erfahrungen mit der Justiz machen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wo nehmen Sie denn die Richter her? - Walter Hirche [F.D.P.]: Haben Ihnen das die Länderfinanzminister zugesagt?)

- Herr Kollege Hirche, ich gebe Ihnen gerne Privatunterricht, um Ihnen das zu erklären. Das ergibt sich aus dem System dieser Reform. Wir können das gerne nachher besprechen.

Die Stärkung der ersten Instanz wird mit diesem Entwurf auf den Weg gebracht. Das Ganze wird unumkehrbar sein.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Ich habe mit den Länderfinanzministern mehr Erfahrungen als Sie!)

- Herr Kollege Hirche, warten Sie es ab. Wir werden über dieses Thema in einigen Jahren reden.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Länder werden mehr Richter einstellen müssen!)

Herr Kollege Geis, ich vermag Ihre Kritik auch aus einem weiteren Grund sehr gelassen zu ertragen: Diese Koalition wird mit ihrem Reformgesetzentwurf den jetzt eingeschlagenen Weg der Modernisierung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Justiz generell unbeirrt fortsetzen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Was kommt dann?)

- Nach der Zivilgerichtsbarkeit kommt der Strafprozess, Herr Kollege Geis, und danach - ich habe es Ihnen schon einmal gründlicher erklärt - die frei willige Gerichtsbarkeit.

Ich betone - ich habe das mit großer Freude in den letzten Tagen in einer Pressemitteilung gelesen -, dass auch der nordrhein-westfälische Justizminister Jochen Dieckmann deutlich erklärt hat: Zur notwendigen Modernisierung der Justiz werden wir alle Binnenressourcen ausschöpfen. - Diese Vorschläge werden wir noch in dieser Legislaturperiode auf den Tisch legen. Am Ende wird ein neues Bild einer modernen ordentlichen Gerichtsbarkeit stehen, die in der Lage sein wird, angesichts der zunehmenden Internationalisierung und Europäisierung des Rechts den globalen Veränderungen, denen wir uns zu stellen haben, zukunftsorientiert standzuhalten und weiterhin schnell und gut in diesem Land Recht zu sprechen.

Das wird das Ergebnis sein. Ich freue mich auf die nächsten Jahre der Erprobung. Wenn es der Wähler zulässt, dass ich im Jahre 2007 hier noch stehen darf, garantiere ich Ihnen, dass wir ein positives Ergebnis erzielt haben werden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, eineinhalb Jahre lang haben Sie versucht, sich durchzusetzen. Sie haben die ganze Zeit versucht, an Ihrem Kurs festzuhalten, und haben nur ein paar marginale und kosmetische Änderungen vorgeschlagen. Sie haben im Grunde genommen sogar - das gehört zu den Kosten Ihres Festhaltens - eine Blockade der Rechtspolitik hingenommen. Es gibt in dieser Bundesregierung bekanntlich nur wenige Leistungsträger. Aber es gibt noch weniger Minister, die eine so magere Bilanz vorzuweisen haben wie Sie in der Rechtspolitik. Das liegt an der Selbstblockade, die Ihre Justizreform in der Rechtspolitik herbeigeführt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie als Mitglieder des Rechtsausschusses wissen, dass die Liste der Ankündigungen der rot-grünen Regierung enorm lang ist, dass aber die Zahl der Punkte, über die federführend im Rechtsausschuss beraten wird, immer geringer wird. Sie bekommen keine Ergebnisse zustande. Sie machen nur Ankündigungspolitik.

Anderthalb Jahre lang haben Sie es versucht. Dann musste die Selbstblockade beendet werden. Nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stand die Ministerin vor der Alternative, entweder ihr Scheitern einzugestehen oder entgegen ihrer persönlichen Überzeugung - Sie halten ja den ursprünglichen Entwurf nach wie vor für richtig; das spricht auch gar nicht gegen Sie - Zugeständnisse zu machen, einzuknicken und die Operation "Gesichtswahrung" durchzuführen. Im ersten Fall hätte es nur eine Verliererin gegeben, nämlich die Bundesjustizministerin, die ihr Scheitern hätte eingestehen müssen. Im zweiten Fall - Einknicken und Gesichtswahrung - gibt es zwei Verlierer, nämlich die Bundesjustizministerin und die Ziviljustiz in Deutschland. Das sind die tatsächlichen Verlierer.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es stimmt zwar, dass der jetzige Gesetzentwurf nicht mehr so schlimm ist wie am Anfang. Er hat sich von einer rechtsstaatlichen Katastrophe zu rechtspolitischem Murks gewandelt.

(Joachim Stünker [SPD]: Herr Röttgen, Sie müssen ein mal den Entwurf lesen!)

Das ist der Weg, den Sie zurückgelegt haben. Es war kein Weg des Lernens, sondern des Scheiterns; denn es besteht kein Zweifel daran: Im Vergleich zur jetzigen Zivilprozessordnung wird der Entwurf für Verschlechterungen sorgen. Es wird nichts besser werden. Er bringt fast nur Nachteile.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Es gibt eine Ausnahme - diese war nie umstritten -, nämlich die Einführung der Möglichkeit der Videokonferenz im Zivilprozess. Das haben wir immer begrüßt. Davon abgesehen gibt es nur Nachteile für die Ziviljustiz und die rechtsuchenden Bürger.

(Joachim Stünker [SPD]: Wann waren Sie zum letzten Mal im Amtsgericht?)

Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land nur falsche Versprechen gemacht. Lieber Herr Bachmaier, die Ministerin hat mehr Transparenz versprochen. Herausgekommen ist eine Rechtswegzersplitterung. Im Zeit alter der europäischen Harmonisierung sorgen Sie für eine nationale Rechtswegzersplitterung. Das, was bereits vor 125 Jahren als historisch überwunden galt, wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder eingeführt. Sie sind - das wissen Sie doch selber - von der Öffnungsklausel nicht überzeugt. Sie wissen, dass Sie sich auf einen faulen Kompromiss einlassen und dass das nicht gut ist. Trotzdem müssen Sie mitmachen; denn die Öffnungsklausel ist das große Pflaster für das politische Scheitern der Bundesjustizministerin. Ihre Funktion ist, zu verdecken, nicht zu verbessern. Damit werden Sie Ihrer Verantwortung für eine qualitativ gute Justiz in unserem Land nicht gerecht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Sie haben mehr Effizienz versprochen. Herauskommen wird Mehrarbeit für die ohnehin schon jetzt überlasteten Amtsgerichte. Das wird zu längeren Verfahrensdauern führen, vielleicht zu schlechteren Urteilen. Jedenfalls können die an der Front, in den Amtsgerichten, Ihre Suppe auslöffeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Versprochen wurde mehr Bürgernähe. Herauskommen wird: mehr Einzelrichter statt Kollegialgerichte - kein Fortschritt in der Qualität der Rechtsfindung. Außerdem wird es in der Berufung weniger Akzeptanz für ein Urteil geben, wenn der eine Einzelrichter den anderen Einzelrichter aushebelt.

Darum ist unsere Position, dass möglicherweise in der Eingangsinstanz der Einzelrichter entscheidet, aber dass immer dann, wenn in der Eingangsinstanz der Einzelrichter entschieden hat, in der Berufungsinstanz ein Kollegialgericht entscheiden sollte, weil dies höhere Akzeptanz bei den Bürgern mit sich bringt.

(Joachim Stünker [SPD]: Das ist heute schon anders, Herr Röttgen! Das geltende Recht ist anders!)

Was herauskommen wird, ist die Möglichkeit der Zurückweisung der Berufung ohne mündliche Verhandlung. Der Bürger muss nicht mehr gehört werden. Über seine Sache wird gar nicht mehr geredet, sondern er wird beschieden: Über deine Sache reden wir nicht mehr. - Die Zurückweisungsbeschlüsse in der Berufungsinstanz werden weniger Akzeptanz für zivilgerichtliche Entscheidungen mit sich bringen.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Und Sie wollten das sogar ohne jedwede Begründung und Ankündigung!)

Versprochen worden ist mehr Bürgernähe. Der Zugang zum Bundesgerichtshof wird aber zum glücklichen Zufall für den Bürger. Diese rechtsstaatlich gravierende Verschlechterung bleibt unter dem Strich übrig. Die Amputation des Bundesgerichtshofs, die Abschaffung des Bundesgerichtshofs als Instanz des Individualrechtsschutzes bedeutet, dass er nicht mehr für den einzelnen Bürger, der klagt, ihm sei Unrecht geschehen, zuständig sein kann.

(Joachim Stünker [SPD]: Stimmt doch gar nicht! - Hermann Bachmaier [SPD]: In viel höherem Umfang als heute!)

Er soll vielmehr objektive Rechtsfortbildung betreiben.

Die Abschaffung des höchsten deutschen Zivilgerichts als eines Gerichts, das für Einzelfallgerechtigkeit zuständig ist, trifft den Punkt, an dem der Bürger Justiz kennen lernt - nämlich nicht in der objektiven Rechtsordnung, sondern in seinem Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Hermann Bachmaier [SPD]: Ab 60000 DM!)

Sie haben es sogar abgelehnt, dass Verfahrensmängel, die sich im Urteil der vorherigen Instanz niedergeschlagen haben, mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof angefochten werden können. Selbst ein Verfahrensmangel, der das Urteil beeinflusst hat - ein ergebniskausaler Verfahrensmangel -, kann nicht mehr vor dem Bundesgerichtshof gerügt werden. Das ist statt mehr Bürgernähe weniger Rechtsschutz für den Bürger. Alle Versprechungen, die Sie gemacht haben, lösen Sie nicht ein.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist die Abteilung "Polemik"!)

Sie wissen das auch; aber trotzdem werden Sie heute dafür im Bundestag eine Mehrheit finden.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ja, schön!)

- Aber, Herr Kollege Dr. Bürsch, versuchen Sie es in irgendeinem deutschen Gericht, bei dem die Richter und Anwälte über diese Zivilprozessreform entscheiden könnten. Sie würden in keinem deutschen Gericht eine Mehrheit für diese Reform finden, weil die Praktiker des Zivilprozesses - das ist doch nicht die Kritik der CDU/CSU, der Opposition - von Ihnen nicht mit dieser Reform beglückt werden wollen. Sie lehnen sie nach wie vor ab, weil sie Verschlechterungen bringt. Das ist das Ergebnis.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -

Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist Ihre selektive Wahrnehmung! Es gibt genug Zustimmung!)

Wir können uns über das Scheitern der Ministerin nicht freuen.

(Hermann Bachmaier [SPD]: Jetzt kommen die Krokodilstränen!)

Das Bedrückendste an der Geschichte ist, dass Sie aus Ihren Fehlern nicht lernen.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nein, dass diese Rede nur polemisch ist!)

Das ist der entscheidende Punkt: Sie lernen nicht. Das Scheitern der Ministerin in der Justizreform birgt im Grunde die Quelle neuen Unheils in sich. Denn Sie brauchen nun einen anderen Erfolg. Hier sind Sie gescheitert.

(Joachim Stünker [SPD]: Nur Polemik, Herr Röttgen, kein Argument!)

Diesen Erfolg suchen Sie jetzt auch. Darum wird das nächste Projekt herausgehauen.

(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir halten dieses Projekt für einen großen Erfolg!)

Jetzt ist das Schuldrecht an der Reihe, ein Herzstück, vielleicht das Herzstück des deutschen Privatrechts. In der letzten Woche wurde es im Kabinett verabschiedet. Gestern kam die Drucksache mit 686 Seiten Umfang in meinem Büro an. Morgen soll die Debatte sein.

(Dirk Manzewski [SPD]: Die Diskussion läuft seit Mitte der 80er-Jahre!)

Sie wissen gar nicht, was Sie beschließen. Die Folgewirkungen können Sie nicht einschätzen. Sie wollen das durchpeitschen, weil Sie auf einen Erfolg angewiesen sind, weil Sie nach einem Erfolg dürsten, den Sie bislang in zweieinhalb Jahren nicht gehabt haben. Darum müssen Sie nun, wie gesagt, ein neues Projekt raushauen. Das ist im Grunde das entscheidende Versagen: Die Rechtspolitik Ihrer Regierung befindet sich aufgrund Ihres Verhaltens und Ihres Stils in einem aktionistischen Teufelskreis, der darin besteht, dass aus dem einen Scheitern das nächste übereilte Projekt folgt, das nichts Gutes bringen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. - Zuruf von der SPD: Das war schwach!)

Lassen Sie mich die heutige Debatte über diesen zentralen Bereich der Rechtspflege, in dem die Bürger ihr Recht suchen, zum Anlass nehmen, eine allgemeine Bemerkung zum Stil der Rechtspolitik seit 1998 zu machen. Wie man an diesem Fall, aber auch darüber hinaus studieren kann - als Rechtspolitiker unserer Fraktion bedauern wir dies, und zwar nicht unter parteipolitischen Gesichtspunkten, sondern um des Zieles willen, dem wir uns alle verschrieben haben -, muss konstatiert werden, dass es seit 1998 einen Stilwandel in der Rechtspolitik gegeben hat. Diesen Wandel spüren wir in fast jeder Rechtsausschusssitzung. Die Mehrheit geht vor dem Argument, das Sich-durchsetzen-Wollen vor dem Aufeinanderzugehen, Tempo vor Sorgfalt. Das ist ein neuer Stil.

Ich bin kein Fossil des Rechtsausschusses - ich hoffe, dass man mir das noch ansieht -, aber immerhin seit 1994 Mitglied dieses Ausschusses. Dort herrscht ein neuer Stil, der nicht gut ist, weil bei ihm die Qualität und die Beherrschbarkeit des Rechts und seiner Institutionen als Schutz davor, dass uns der Rechtsstaat in einer komplexen Gesellschaft über den Kopf wächst, auf der Strecke bleiben. In einer verflochtenen, hoch komplexen Gesellschaft ist die Gefahr gegeben, dass wir die Regulierungen, die wir selbst beschließen, nicht mehr beherrschen können. Wer nicht auf Qualität und auf das Argument setzt, sondern auf Mehrheit und Geschwindigkeit, beschädigt die Beherrschbarkeit des Rechts. Das ist nicht parteipolitisch gemeint. Vielmehr ist unsere allgemeine Sorge, dass in diesem anderen, neuen Stil die eigentliche Fehlleistung und Fehlleitung rot-grüner Rechtspolitik besteht. Wir bitten Sie, darüber nachzudenken, ob dieser Stil im gemeinsamen Interesse nicht geändert werden sollte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile nun das Wort der Bundesjustizministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz (von Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Sorge, lieber Herr Röttgen, ich werde nicht auf das eingehen, was Sie sagten, sieht man von einer einzigen Bemerkung ab. Das, was Sie über Stil gesagt haben, ist ein Punkt, bei dem Sie sich an die eigene Nase fassen müssen.

(Beifall bei der SPD)

In den Beiträgen, die wir in dieser wichtigen Fachdebatte von den Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen gehört haben, ist mir Folgendes so richtig deutlich geworden: Wenn man Ihnen zuhört, dann weiß man, warum die Modernisierung der Justiz in den 16 Jahren, in denen Sie die Mehrheit hatten, keinen Schritt vorankam.

(Beifall bei der SPD - Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wir haben eine gut funktionierende Justiz!)

Das liegt einfach daran, meine Damen und Herren, dass Sie sich ständig widersprechen, dass Sie Ihre Meinungen - ich werde Ihnen das gleich anhand einiger wichtiger Justizpolitiker darlegen, die es in Ihren Reihen ja auch gegeben hat und gibt - ständig so ändern, wie Sie es gerade brauchen. Wenn Sie dann noch auch nur die Hälfte Ihrer Kreativität, die Sie darauf verwenden, gute Gesetzesvorhaben in der Öffentlichkeit madig zu machen, dazu nutzten, Sachargumente in die Diskussion einzubringen, dann wären wir wirklich schon viel weiter.

Es ist geradezu lachhaft, jetzt so zu tun, als sei Rot-Grün in der Rechtspolitik nicht erfolgreich. Gerade in den letzten beiden Wochen hat der Bundestag eine Reihe von wichtigen Reformgesetzen beschlossen, die Sie alle schon hätten realisieren können, angefangen vom Mietrecht bis hin zur elektronischen Grundlage des Rechts- und Gerichtsverkehrs. Zu nichts waren Sie in der Lage.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das können Sie doch nicht sagen!)

Wenn man sich aber so wenig ernsthaft auseinander setzt, wie es jetzt gerade geschehen ist, dann braucht man sich darüber nicht zu wundern. Jetzt gehen Sie auch noch her und sagen den Bürgerinnen und Bürger öffentlich, diese Justizreform sei nicht nötig. Wo leben Sie denn?

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Schlecht ist sie!)

- Entschuldigen Sie, das haben Sie doch gerade gesagt. - Sie wissen doch ganz genau, dass jeder Brief, in dem sich Handwerker oder Unternehmer zum Beispiel über die Zahlungsmoral oder säumige Schuldner beklagen, das Gegenteil bescheinigt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -

Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch gründlich gescheitert und hat nichts genützt!)

Sie wissen auch ganz genau, dass selbst Ihre eigenen Mitglieder dieses bestätigen. So hat der heutige Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer 1998 im Namen der Kammer, in der ich Mitglied bin, einen offenen Brief an uns Politiker gerichtet, in dem er beklagt, dass die Überlastung der Justiz einen kritischen Punkt erreicht habe.

(Joachim Stünker [SPD]: Hört! Hört!)

Lassen Sie mich die Beispiele fortführen und einen Kollegen von der F.D.P. heranziehen: Vor zweieinhalb Jahren hat das F.D.P.-Mitglied Professor Schmidt-Jortzig, mein Vorgänger, dieses auf dem Deutschen Juristentag in

Bremen zum Anlass genommen, zu sagen, dass er für die Dreistufigkeit sei und diese jetzt endlich umgesetzt werden müsse.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dafür waren wir nie! - Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Waren Sie doch auch nicht!)

Gelegentlich zitieren Sie ja hier auch Herrn Minister Goll. Wogegen wollen Sie sich mit dem Anführen seiner Aussagen eigentlich wenden? Er hat 1998, als Bund und Länder über diese Reform diskutiert und Anregungen gesammelt haben, gesagt, er sei für eine Umgestaltung der Berufungsinstanz schrittweise hin zu einer Rechtsüberprüfungsinstanz. Heute tun Sie, meine Damen und Herren, so, obwohl wir das gar nicht vorhaben, als sei das Blendwerk vom Teufel.

Darf ich auch Sie, sehr verehrter Herr Funke - Sie wissen, wie ich Sie schätze -, daran erinnern, was Sie auf dem 12. Verwaltungsrichtertag 1998 gesagt haben? Da haben Sie sich darüber ausgelassen, dass die erste Instanz gestärkt werden

(Rainer Funke [F.D.P.]: Das habe ich! Das sehe ich auch so!)

und der Instanzenzug reformiert werden müsse. Hierfür könne die Dreistufigkeit in der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Modell dienen. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit diesem Modell werde über die Übernahme desselben auch in andere Verfahrensordnungen diskutiert. Weshalb wollen Sie denn hier der staunenden Öffentlichkeit weismachen, dass überhaupt nichts geändert werden müsse?

Hoch qualifizierte Rechtspolitiker, von denen auch Sie einige in Ihren Reihen hatten und haben, gehen sogar noch weiter. Ich erinnere Sie an das, was der ehemalige Rechtsausschussvorsitzende Eylmann immer wieder sagte.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war nie unsere Meinung!)

Ich bitte Sie darum, hiermit ernsthaft umzugehen und dieses nicht einfach deswegen, weil Sie Rot-Grün nicht mögen oder in der Opposition sind - ich gebe ja zu, dass das schwer ist -, abzutun.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben uns immer gegen die Dreistufigkeit ausgesprochen!)

Wenn Sie an Ihre Parteifreunde, die jetzt nicht mehr Mitglieder des Bundestages sind, nicht erinnert werden wollen, dann bedenken Sie wenigstens ein Wort des jetzigen Vorsitzenden des Rechtsausschusses, übrigens auch Mitglied der CDU, der sagte:

Der Weg immer neuer Entlastungsgesetze, der in den vergangenen Jahren beschritten worden ist, mit dem Versuch, die Symptome zu lindern, kann nicht weiter beschritten werden. Es muss an den Kern gegangen werden; die Zeit dafür ist überreif. Bedenken, mit einer einheitlichen Eingangsinstanz werde in Flächenländern ein Verlust an Bürgernähe einhergehen, sind nicht gerechtfertigt.

Meine Damen und Herren, diese Beispiele mögen als Vorbemerkung reichen, um die Ernsthaftigkeit Ihrer Argumentation zu beleuchten. Wir werden auf dem Weg, die Justiz zu modernisieren, fortschreiten. Wir werden die entsprechenden Vorschläge weiter auf den Tisch legen und Sie weiter zur Mitarbeit einladen. Wir werden weiterhin sämtliche Praktiker aus den Gerichten, den Ländern und der Wissenschaft, die sich beteiligen wollen, einladen und bitten, bei uns mitzumachen. Wir werden gute Anregungen von diesen aufnehmen. Das ist, Herr Geis, kein Zeichen von Schwäche - das mag vielleicht bei Ihnen so sein -, sondern ein Zeichen von Stärke, wenn man sich zutraut, über Fragen zu diskutieren und gelegentlich gute Sachargumente auch aufzunehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden auch Sie weiterhin dazu einladen. Die Modernisierung der Justiz ist um der Bürger willen nötig, die Sie durch das ständige Heraufsetzen der Streitwertgrenze empfindlich getroffen haben. 80 Prozent müssen sich nämlich an das Amtsgericht wenden, um ihr Recht einzuklagen. Es ist Ihr "Verdienst" - diese Tatsache muss festgehalten werden -, dass heute die 80 Prozent, die zu den Amtsgerichten gehen müssen, die schlechtesten Bedingungen vorfinden. Die Amtsrichterinnen und Amtsrichter dort haben die meiste Arbeit - die richtige Zahl wurde schon genannt -, nämlich durchschnittlich 750 Fälle pro Jahr. Wir werden mit dieser Reform die Stellung der Amtsgerichte stärken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie werden Ihren Wählerinnen und Wählern erklären müssen, warum Sie dagegen waren.

Ich will Ihnen einen zweiten Grund nennen - die Kolleginnen und Kollegen der SPD haben schon darauf hingewiesen -, warum diese Reform nötig war. Gerade für die Bürgerinnen und Bürger, die ihr Recht bei den Amtsgerichten suchen, müssen die Berufungsbedingungen, die sich während Ihrer Regierungszeit verschlechtert haben, verbessert werden.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Was?)

Wir verbessern mit diesem Gesetz die Berufungsmöglichkeiten in diesem Bereich. Davon sind 80 Prozent der Klagenden betroffen. Sie werden den Bürge rinnen und Bürgern erklären müssen, warum Sie ihnen die besseren Bedingungen, die wir schaffen wollen, vorenthalten wollen. Den Amtsrichtern müssen Sie erklären, warum Sie sie nicht entlasten wollen.

Ich nenne Ihnen einen dritten Grund. Wir wollen in der Tat, dass aussichtslose Prozesse - also Prozesse, die durch ein Kollegialgericht einstimmig als aussichtslos angesehen werden - nicht wie bisher allein wegen ihres Streitwerts durch die Instanzen gezogen werden können.

Dieses wollen wir im Interesse einer zügigen Rechtsprechung, auf deren Notwendigkeit uns gerade die mittelständische Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger immer wieder aufmerksam machen.

(Dirk Manzewski [SPD]: Prozessverschleppung! Genau!)

Das erreichen wir mit unserem Gesetz.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da halten Sie aber zu viel von Ihrer Reform!)

Wenn Sie dagegen sind, werden Sie der mittelständischen Wirtschaft sowie den Bürgerinnen und Bürgern erklären müssen, warum Sie weiterhin für diese Form des Justizkredits eintreten. Das ist aber Ihr Problem.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich für die Öffentlichkeit in sieben Punkten zusammenfassen, was wir mit diesem Gesetz erreichen wollen.

Erstens. Wir stärken die Amtsgerichte, was Sie aber nicht mittragen wollen. Wir schaffen bessere Bedingungen für 80 Prozent der Bürger, die bei den Amtsgerichten ihr Recht suchen. Wir helfen auch den Amtsrichterinnen und Amtsrichtern, die sich oft bitter darüber beklagt haben - das wissen wir doch alle -, dass sie in den 16 Jahren Ihrer Regierung zu den "Lasteseln" der Justiz gemacht worden seien.

Zweitens. Wir setzen auch im Zivilprozess ganz entschieden auf die Schlichtungskultur.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch jetzt schon geltendes Recht!)

Wir haben bei der außergerichtlichen Streitschlichtung angefangen. Wir werden sehr sorgfältig schauen, was gerade die Länder, in denen Sie regieren, in Bezug auf die Schlichtungskultur unternehmen.

Frau Kenzler, Ihre Auffassung, dass es zu mehr Arbeit für die Amtsrichterinnen und Amtsrichter führen wird, wenn sie mit den Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen eines Schlichtungsversuchs verstärkt sprechen müssen, ist nicht ganz korrekt; denn die Stärkung des Schlichtungsverfahrens bringt die große Chance mit sich, dass es weniger streitige Urteile gibt. Diese Urteile sind es aber, die Arbeit machen.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Deswegen macht es der Richter jetzt schon!)

Auch unter diesem Aspekt ist die Schlichtung eine sehr wichtige Sache.

Wenn die Kolleginnen und Kollegen von der Union einmal aufhören würden, dazwischenzurufen,

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Die war seit 100 Jahren nicht im Gerichtssaal!)

würde ich Ihnen gerne sagen: Alle diese Überlegungen, die in das Gesetz ein gegangen sind, beruhen natürlich auf guten Vorbildern, wie wir sie in einigen Ländern bei den Amtsgerichten und Landgerichten finden. Wir haben uns dort sehr sorgfältig umgeschaut, um diese guten Modelle zum Vorbild nehmen zu können. Schon aus diesem Grunde handelt es sich um sinnvolle Regelungen.

Drittens. Wir erweitern die Berufungsmöglichkeiten gerade für die Verfahren vor dem Amtsgericht. Wir straffen die Berufung da, wo das rechtsstaatlich einwandfrei möglich ist. Diese Straffung fällt moderater aus als die, die Sie in Ihrem Entwurf, den Sie glücklicherweise zurückgezogen haben, vorgeschlagen haben. Gerade die Bürgerinnen und Bürger und die mittelständische Wirtschaft sind uns dafür dankbar.

Viertens. Wir weiten das Tätigkeitsfeld des Einzelrichters aus. Er entscheidet durchweg in amtsgerichtlichen Verfahren. Er soll aber auch dann bei landgerichtlichen Verfahren zum Einsatz kommen, wenn der Fall nicht eine besondere Spezialmaterie umfasst. Es macht Sinn, wenn ein Gremium nur im Falle einer Spezialmaterie tätig wird. Aber da, wo das nicht der Fall ist, soll der originäre Einzel richter tätig sein.

Wir sind der Meinung, dass in einfachen Spezialfällen rückübertragen werden kann. Wir sind auch der Auffassung, dass die Tätigkeit des Einzelrichters ausgeweitet werden kann. Wir sind zudem - fünftens - fest davon überzeugt, dass die Landesjustizminister -sie tragen schließlich Verantwortung für die Justiz und können nicht einfach so daherschwätzen - selbstverständlich dafür sorgen werden, dass aufgrund der frei werdenden Stellen neue Arbeitsplätze bei den Amtsgerichten - also dort, wo sie hingehören - geschaffen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Noch eine kleine Reminiszenz: Sie haben behauptet, Sie hätten die Tätigkeit der Einzelrichter in viel höherem Maße ausgedehnt, Sie hätten sogar die Anfänger, also die Proberichter, zu Einzelrichtern gemacht. - Das alles spricht nicht für Ernsthaftigkeit, sondern erklärt, warum es mit Ihrem Versuch der Modernisierung überhaupt nichts geworden ist.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben in der letzten Legislaturperiode mitgestimmt! Das ist Ihr Entwurf genauso wie meiner!)

Sechstens: das Revisionsrecht. Was Sie hier schildern, ist falsch. Es ist überhaupt nicht zu bezweifeln, dass ein oberstes Bundesgericht Grundsatzentscheidungen klären muss, Rechtsfortbildung im Einzelfall betreiben muss und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung - insofern geht es natürlich um Qualitätsaspekte - sichern muss. Wer das bestreitet, der stellt sich nicht nur gegen die Richter des Bundesgerichtshofs,

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das macht doch gar keiner!)

sondern - das wissen Sie ganz genau - der weiß nicht, wovon er redet. Ich muss wirklich sagen: Einiges von dem, was Sie hier geboten haben, hätte schon ein bisschen gehaltvoller sein können.

(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Es ist schon ganz gut, dass Sie wenigstens anerkennen, dass mit Zustimmung aller Beteiligten unter Einhaltung der notwendigen Voraussetzungen der Einsatz von elektronischen Geräten, mit denen heute jeder Anwalt arbeitet, jetzt auch bei Gericht möglich sein soll.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehb?

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Ja.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Bitte, Herr Kollege Gehb.

Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Da Sie, Frau Ministerin, fragen, ob wir wissen, wovon wir reden: Erklären Sie mir bitte, ob es einen Grund gibt, warum ausgerechnet in der ZPO der Revisionsgrund "entscheidungserheblicher Verfahrensmangel", so wie er in der VwGO, in der StPO und in der Finanzgerichtsordnung besteht, keinen Platz gefunden hat. Gibt es dafür irgendeine Erklärung? Ich habe noch nicht gehört, warum dieser Revisionsgrund auf der Strecke geblieben ist.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Lieber Kollege, der Wortlaut der von Ihnen genannten Verfahrensordnungen ist nicht ganz richtig. Lassen Sie mich ganz eindeutig sagen: Generell gibt es viele Gemeinsamkeiten und es gibt manche Unterschiede. Daraus erklärt sich - wenn auch nicht in jedem Fall, so doch in diesem Fall - das, was Sie wahrscheinlich meinen.

Wir kommen jetzt - siebtens - zur Experimentierklausel. Herr Röttgen hat hier erklärt, dies sei eine Öffnungsklausel, und tut so, als würde er den Unterschied nicht kennen. Das ist ein bisschen wenig. Sie sollten noch einmal aufmerken: Wissen Sie, woher der Gedanke der Experimentierklausel kommt? - Zum einen kommt dieser Gedanke aus der Praxis in den Ländern, wo man sagt: Wir brauchen noch etwas mehr Zeit zum Diskutieren. Da uns daran liegt, im Einklang mit der Praxis vorzugehen, greifen wir diesen Gedanken auf. Zum anderen hat auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Professor Scholz, Mitglied der CDU, diese Überlegung dezidiert vorgetragen. Wenn Sie schon anfangen zu polemisieren, dann sollten Sie sich die Stellen, an denen Sie das tun, ein bisschen glücklicher heraussuchen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir sind der Meinung, dass Sie sehr viel mehr an eigener Aktivität und Initiative hätten einbringen können. Wenn das geschehen wäre, dann wären wir im Hinblick auf die nötige Umgestaltung und Modernisierung unserer Justiz weiter. Jeder, der angesichts der Veränderungen in der Welt und der damit verbundenen Herausforderungen die starke Stellung der Justiz bewahren will, jeder, der den großen Einfluss der Richterinnen und Richter, der unabhängigen dritten Gewalt in unserem Rechtsstaat bewahren will, der muss modernisieren. Wenn man mit Ihnen unter vier Augen redet, dann stimmen Sie uns darin zu. Warum sind Sie nicht einmal so mutig, stellen sich hierher und sagen: Jawohl, das ist so, wir müssen das gemeinsam angehen und wollen das auch.

Sie haben erklärt - das ist ihr Problem -, bei der ZPO-Reform nicht mit uns zusammenzuarbeiten. Wir werden Ihnen noch viele andere Möglichkeiten geben, das zu tun. Übrigens: Wir führen die ZPO-Reform in Zusammenarbeit mit dem Richterbund, in Zusammenarbeit mit der Praxis, in Zusammenarbeit mit vielen Amtsrichterinnen und Amtsrichtern sowie in Zusammenarbeit mit vielen Wissenschaftlern durch.

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt ans Ende der Beratungen zu diesem wirklich wichtigen Schritt der Justizreform - im Rahmen der Modernisierung der Justiz, die natürlich weitergeht. Deswegen werden Sie mir gestatten, dass ich mich bei all denen bedanke, die es anders gemacht haben als Sie und die wirklich mitgearbeitet haben:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das sind die Kolleginnen und Kollegen des Rechtsausschusses, die nicht nur mitreden konnten, sondern in der Tat jahrelang heftig mitdiskutiert haben. Das sind die Berufsverbände. Das sind weite Bereiche aus Wissenschaft und Praxis. Das sind viele Länderjustizminister, übrigens auch solche, die nicht in die Nähe der rot-grünen Mehrheit gehören. Vor allem aber will ich mich an dieser Stelle beim Präsidenten a. D. des Amtsgerichts Stuttgart, Herrn Netzer, und seiner Gruppe ganz herzlich bedanken, die eine enorme Arbeit geleistet hat

(Beifall bei der SPD)

und die - lassen Sie mich das einfach noch einmal sagen - im Gegensatz zu vielen aus Ihren Reihen, die wir gehört haben, die Praxis nun wirklich aus dem Effeff kennen. Wenn Sie mir gestatten, füge ich noch einen Satz hinzu. Auch der Vorgänger von Herrn Netzer als Abteilungsleiter, Herr Hilger, der in den Ruhestand gegangen ist, und sein Stellvertreter, der leider viel zu früh gestorbene Reinhard Schubert, sollen an dieser Stelle bedacht werden. Sie haben zusammen mit ganz vielen Kolleginnen und Kollegen in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die seit Jahren an diesem Projekt arbeitet, eine gute Arbeit gemacht, und es ist wichtig, dass wir uns auch an dieser Stelle an sie erinnern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich danke all denen, die diesen Schritt mit uns gehen. Ich glaube, jetzt kommt es darauf an, in den Ländern - gerade bei den vielen Richterinnen und Richtern, die hier mitmachen wollen und mit machen werden - dafür zu sorgen, dass sie auch mitmachen können. Wir werden jedenfalls in der nächsten Legislaturperiode den ersten Bericht über die Erfahrungen einbringen und dann die nächste Stufe der Modernisierung weitergehen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Norbert Geis.

(Joachim Stünker [SPD]: Muss das sein?)

Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Ministerin, ich möchte natürlich nicht auf Ihre ganze Rede antworten, aber noch einmal in drei Punkten die Gegenposition klarmachen.

Erstens. Sie vergessen nach meiner Auffassung bei allen Ihren Ausführungen immer wieder, dass wir nach dem Urteil der internationalen Fachwelt eine hervorragend funktionierende Justiz haben und dass die Fachwelt in Deutschland größte Bedenken hatte, dass durch Ihre Reform diese hervor ragend funktionierende Justiz beschädigt werden könnte.

(Joachim Stünker [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

Zweitens. Wir haben in vielen Podiumsdiskussionen, in vielen Beratungen im Parlament und auch in vielen Berichterstattergesprächen unsere Gegenpositionen dargetan, zusammen mit den Anwälten, mit den Richtern und mit anderen Fachleuten aus dem Bereich der Rechtswissenschaft. Ergebnis dieses langen Diskussionsprozesses, an dem wir teilgenommen haben, war, dass Sie wichtige Positionen Ihrer Reform zurück genommen haben. Deswegen können Sie nicht sagen, wir hätten uns überhaupt nicht beteiligt. Diese Reform, so wie sie heute auf dem Tisch liegt - mit der wir immer noch nicht einverstanden sind -, ist auch ein Ergebnis dieser Diskussion.

Drittens. Es ist richtig, dass in der Kommission für die Rechtsmittelreform die Dreigliedrigkeit indirekt immer wieder mitdiskutiert worden ist, und richtig ist auch, dass sich an den Diskussionen in dieser Kommission Fachleute aus den Länderministerien beteiligt haben und dass die Länder zu einer größeren Reform ausholen wollten. Das ist wahr. Aber wahr ist auch, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in ihrer Gesamtheit immer an der Viergliedrigkeit festgehalten und sich gegen die Dreigliedrigkeit gewehrt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Zur Erwiderung Frau Ministerin Däubler-Gmelin, bitte.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Das war ja schon viel besser.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Noten geben, das ist ja unerträglich!)

Wenn man fachlich und sachlich mit jemandem argumentieren will, darf man natürlich nicht solche unernsten Beiträge halten, wie wir sie vorhin gehört haben. Wenn Sie angesichts des vereinigten Rechtsraums in Europa und angesichts all der Herausforderungen, die dadurch zusätzlich auf uns zukommen - zwei europäische Gerichte und zusätzliche Spezialgerichte -, weiter an der Viergliedrigkeit festhalten wollen, kann ich Sie nur bitten, diese Position zu überdenken. Sie waren schon einmal weiter. In Richtung F.D.P. will ich hin zufügen: Herr Professor Schmidt-Jortzig, mein Vorgänger im Amt, hat vor zwei einhalb Jahren auf dem Deutschen Juristentag doch nicht nur für sich ge sprochen, sondern selbstverständlich auch als Justizminister und damit für die ihn tragende Mehrheit aus CDU/CSU und F.D.P.

Was also soll das jetzt? Ich habe Ihnen gerade vorgetragen, was Herr Eylmann, Herr Scholz und x andere Leute sagen und was Herr Dombek vor zwei Jahren zur Überlastung der Justiz, die den kritischen Punkt erreicht habe, gesagt hat. Wenn das noch nicht genügt, dann will ich jetzt wiederholen: Wenn Sie der Meinung sind, man könne 1,5 Millionen Menschen - das sind, wie gesagt, etwas mehr als drei Viertel aller Rechtsuchenden, die heute vor Gericht müssen - mit den schlechtesten Bedingungen abspeisen und das sei eine vorbildliche Justiz, dann kann ich Sie nur bitten, auch dies zu überdenken.

Nochmals: Wenn jemand heute streitwertbedingt zum Amtsrichter muss, dann trifft er auf Richterinnen oder Richter, die in aller Regel hervorragend sind, aber pro Person 750 Fälle im Jahr zu bearbeiten haben.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wird bei Ihnen noch schlimmer! Jetzt gibt es noch mehr Arbeit!)

Wenn es um 10 000 DM oder mehr geht, dann sind es 170 Fälle und bei den Oberlandesgerichten sind es 69 Fälle. Diese Zahlen kennen Sie alle genau.

Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen: Wenn wir die Amtsrichterinnen und die Amtsrichter weiterhin als die Lastesel der Justiz nutzen und ihnen dann auch noch sagen, es sei doch alles toll und es müsse nichts geändert werden, meinen Sie nicht, dass sich diese Kolleginnen und Kollegen nicht mehr ernst genommen fühlen

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

und dass sie den Eindruck haben, die CDU/CSU habe keine Ahnung von den Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen?

Ich appelliere an Sie, einmal darüber nachzudenken, ein bisschen von Ihrer Grundhaltung, Nein zu sagen, abzurücken, sich den Sachproblemen zu stellen und mit uns die Modernisierung der Justiz Punkt für Punkt anzugehen - durch Ihre Zustimmung zu der ZPO-Reform.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Helmut Wilhelm für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe diese Woche im "Spiegel" gelesen, die ZPO-Reform sei gescheitert; die Kollegen Geis und Röttgen haben hier ja ins gleiche Horn gestoßen. Zwar habe ich den "Spiegel" natürlich noch nie für eine profunde juristische Fachzeitschrift gehalten,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

aber hier liegt er besonders schief.

Ich jedenfalls freue mich, dass wir heute eine neue, moderne und aus gewogene Zivilprozessordnung auf den Weg bringen können.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Die Kommentare in der "NJW" und der "JZ" sind auch nicht besser!)

Viel mehr Verfahren als bisher können zukünftig beschleunigt erledigt werden, und zwar endgültig bereits in erster Instanz - in einer ersten Instanz, die zudem mehr Zeit und Personalressourcen hat und sich damit sorgfältiger auseinander setzen kann, als es bisher möglich war.

Das hat ganz einfach damit zu tun, dass ein Amtsrichter heute über 700 Verfahren im Jahr zu bearbeiten hat, sein Kollege am OLG aber nur 75.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wird noch schlimmer!)

Was an diesem krassen Missverhältnis erhaltenswert sein soll, meine Damen und Herren von der Opposition, vermag ich wirklich nicht zu erkennen.

(Rainer Funke [F.D.P.]: Das hat doch keiner behauptet! - Norbert Geis [CDU/CSU]: Wie wollen Sie das denn ändern?)

Im Gerichtssaal des Amtsgerichts hat der Rechtsuchende zum ersten Mal mit der Justiz zu tun und dort soll er auch nachvollziehen können, warum das Gericht so und nicht anders entscheidet.

Dass der ursprüngliche Entwurf im Lauf des parlamentarischen Verfahrens einige Änderungen erfahren hat - die, nebenbei gesagt, die Grundtendenz nicht verändert haben -, ist doch gerade die Konsequenz sorgfältiger parlamentarischer Arbeit.

Wir haben mit Vertretern der Fachverbände diskutiert, mit den Berichterstattern der Opposition, mit Ihnen, meine Damen und Herren, wir haben im Rechtsausschuss eine umfangreiche Expertenanhörung durchgeführt und wir sind bereit, den strittigen Punkt der Berufungszuständigkeit über einen gewissen Zeitraum hinweg zu experimentieren. So haben die Länder in eigener Zuständigkeit die Möglichkeit, in der täglichen Praxis herauszufinden, inwieweit unsere Vorstellungen von einer Konzentration der Berufung bei den Oberlandesgerichten machbar und zweckmäßig sind. Ich bin mir da ganz sicher: Diese Erfahrungen werden letztlich dazu führen, dass unsere Vorstellungen zum Tragen kommen.

Dass wir Experten angehört haben, dass wir verändert und berechtigten Vorschlägen Rechnung getragen haben, das ist doch solide, qualitätsvolle parlamentarische Arbeit und nicht etwa - wie der "Spiegel" und auch Sie irrigerweise meinen - Ausdruck des Scheiterns.

Nein, wer hier gescheitert ist, das ist die Opposition.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Denn wenn ich mir Ihre alten Gesetzentwürfe ansehe, dann wussten doch auch Sie, dass diese Reform überfällig war. Aber diese Erkenntnis in Taten umzusetzen, das haben Sie nie geschafft. Ihr ständiges Drehen an der Streitwert schraube hat die Situation nur verschlimmert. Auch heute haben Sie nichts anderes parat als ein simples Nein.

Eigentlich sollten Sie uns dankbar sein, dass wir endlich die überfällige komplette Reform machen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das glauben Sie selbst nicht!)

Die CDU/CSU hatte ja selbst einen Entwurf - ich bezeichne ihn jetzt als Klandestinentwurf -, der einige Ähnlichkeiten mit unserem aufwies.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Umgekehrt! Ihrer ähnelt unserem!)

Aber der verschwand irgendwo in der Versenkung.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben ja nicht mitgemacht!)

Ich bedanke mich beim Ministerium, ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Ministerin, für die geleistete umfangreiche Arbeit. Ich bedanke mich bei den Verbänden, die den Entwurf durch konstruktive Kritik begleitet haben, die Regelungsalternativen entwickelt haben und die - siehe das letzte Gespräch der Berichterstatter aller Fraktionen mit den Verbänden der Anwälte und Richter - das Gesetz letztlich als positiv bewertet haben.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Der Ornithologenverband vielleicht!)

Mit Ihrem alternativlosen Nein standen Sie zum Schluss doch ziemlich allein da.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 14/6036. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Zivilprozesses in der Ausschussfassung anzunehmen, Drucksache 14/4722.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6061? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-Fraktion angenommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Reform des Zivilprozesses auf Drucksache 14/3750 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

 

 

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erstellt von Sven Muth (zuletzt geändert am 13.12.2001)